· Prof. Dr. Josef H. Reichholf

Brutale Jagd auf Rabenvögel

Ein Vogel dass einst Symbol von Göttern war, gilt heute als Störenfried. Ist die Jagd auf die Tiere bloß sinnloses Dampfablassen der Jäger, oder doch nützlich für bessere Niederwildstrecken?

Intelligente Tiere werden gejagt

80 000 bis 100 000 Rabenvögel werden in Bayern Jahr für Jahr abgeschossen. Das geht aus den offiziellen Jagdstatistiken hervor.Die allermeisten dieser Abschüsse betreffen Rabenkrähen Corvus corone, die kleinen Vettern des großen Kolkraben Corvus corax. Dieser gilt als der intelligenteste Vogel, aber die Rabenkrähe steht ihm kaum nach. Sie kommen in Gehirngröße und Gehirnleistungen durchaus den gewichtsmäßig vergleichbaren, kleinen Primaten gleich.

Doch während die Kolkraben einst hoch geschätzte Begleiter von Wotan waren, dem obersten Gott der Germanen, und die Rabenkrähe der griechischen Göttin Pallas Athene zugeordnet war, bevor „die Eule“ (der Steinkauz) ihr Symboltier wurde, gelten die beiden „Schwarzen“ gegenwärtig, nicht nur in Jägerkreisen, als „Schadvögel“, die „kurz gehalten“ werden müssen. Auch in einigen Teilen der Bevölkerung hält sich die Vorstellung, dass Krähenabschuss eine notwendige Maßnahme zum Schutz der Singvögel sei.

Wie sieht nun aber die Sachlage aus? Brauchen Vogelwelt und Niederwild die Krähenbekämpfung? Welche Position kann und soll der LBV vertreten? Ein jagdlicher Großversuch im Saarland und vogelkundliche Befunde aus Südbayern ergänzen sich zu einer neuen Sicht der Krähenbekämpfung. Sie sollte insbesondere Jäger und solche Vogelschützer nachdenklich stimmen, die meinen, Krähen und Elstern müssen zugunsten des Niederwildes und der kleinen Singvögel kurz gehalten werden.

Jagdlicher Großversuch im Revier Wahlen

Vom Jagdjahr 1990/91 bis März 1996 wurde im etwa 700 Hektar großen Revier im nördlichen Saarland unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Paul Müller, damals Universität des Saarlandes, der Totalabschuss von Beutegreifern versucht, um die Reaktion des Niederwildes und einiger Singvogelarten zu testen. Die Bilanz der 6 „Jagdjahre“ ergab Abschüsse von 939 Rabenkrähen, 394 Elstern, 909 Eichelhähern, 579 Füchsen, 8 Dachsen, 146 Stein- und Baummardern, 15 Iltissen und 174 Hermelinen. In dieser Zeit wurden auch 93 Fasane und 46 Feldhasen erlegt (Niederwildstrecke). Hieraus ergibt sich ein Verhältnis von 2242 Rabenvögeln zu 93 Fasanen oder 24 pro Fasan und 922 „Kleinraubtieren“ zu 46 Hasen oder 20 pro Hase. 4073 erfolgreichen Abschüssen von „Raubwild“ und „Raubzeug“ stehen daher lediglich 139 Stück Niederwild gegenüber. Die Bilanz ist mehr als „mager“ – und sie fällt zudem ganz eindeutig aus: Der Massenabschuss ergab weder eine Zunahme beim Feldhasen, noch beim Fasan. Das geht aus den Abb. 1 & 2 klar hervor.

Die Jagdstrecken von Fasan und Feldhase veränderten sich offensichtlich nicht, obwohl der sonst übliche Abschuss auf ein Vielfaches erhöht worden war. Es gelang auch nicht, eine Zunahme von Singvögeln nachzuweisen. Das zu erreichen, war aber eines der beiden Ziele des „Totalabschusses“ im Großrevier gewesen. Die zunächst vermutete, leichte Zunahme der Jagdstrecken beim Fasan erwies sich bei genauerer Betrachtung als Teil eines weiträumigen Effekts, der aller Wahrscheinlichkeit von der Witterung ausgegangen war. Denn die Straßenverkehrsverluste von Fasanen stiegen im Vergleichszeitraum in Ostbayern (Bundesstraße 12 von München nach Niederbayern, 150 km Distanz) ganz ähnlich wie im 500 km entfernten Saarland an.

Was für die Fasane zutrifft, muss auch für die Feldlerchen in Betracht gezogen werden und so bleibt kein nachweisbar positiver Effekt des Massenabschusses übrig. Die Befunde dieses saarländischen Großversuches sind in der Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern Band 2 (1996) veröffentlicht. Sie ermöglichen den Vergleich mit der Wirksamkeit des Krähenabschusses in ganz Bayern.

Krähenabschuss in Bayern: nützlich oder schädlich?

Für die Jagdjahre 1995/96 bis 1997/98 sind für Bayern (Jagdfläche rund 6,5 Millionen Hektar) 79.452, 97.175 und 91.742 Rabenvogelabschüsse angegeben worden. Das macht durchschnittlich 1,5 Stück pro 100 Hektar und Jahr. Das über Zwanzigfache, nämlich 31,7 Krähen & Elstern, waren im saarländischen Versuchsrevier abgeschossen worden. Ohne Erfolg für das Niederwild! Damit ist es in höchstem Maße unwahrscheinlich, dass die ungleich geringere Abschussquote in Bayern etwas zugunsten von Niederwild und Singvögeln bewirkt haben konnte. Ist sie also bedeutungslos und kaum mehr als ein „Dampfablassen“ bei den Jägern, die sich über die schlechten Niederwildstrecken ärgern? Oder auch nur, wie manche es ihnen vorwerfen, Befriedigung ihrer Schießlust?

Gehen wir davon aus, dass die große Mehrheit der bayerischen Jäger mit der Raubwild- und Raubzeugbekämpfung die Verbesserung der Lage des Niederwildes (und der Singvögel als Mit-Aufgabe der jagdlichen Hege) im Sinn hat, so ließe sich einfach feststellen, die Bemühungen fruchten auch dann nicht, wenn der Abschuss zwanzigmal intensiver betrieben würde. Doch das ist wahrscheinlich nur eine Teilantwort. Denn mit der Bejagung verbindet sich ein ganz anderer Effekt, der nicht erwartet wird. Dieser hängt mit dem Sozialleben der Krähen zusammen.

Revierbewusste Rabenkrähen stoßen andere Vögel weg

Die Rabenkrähen leben nämlich von Natur aus praktisch das ganze Jahr über territorial. Paare, die ein Revier besitzen, verteidigen dieses gegen Artgenossen. Diese wiederum werden durch die nahezu flächendeckende Verteilung der Brutreviere daran gehindert, selber zu brüten und Nachwuchs großzuziehen. Die „Revierlosen“ schließen sich zu „Nichtbrüter-Gruppen“ zusammen. Diese streifen in der Brutzeit umher. Sie suchen weitab von ihren Schlafplätzen nach Nahrung. Die Telemetrierung (mit kleinen Funkgeräten) solcher Rabenkrähen zur Brutzeit ergab Streifgebiete von mehr als 5 km Durchmesser, während sich die Revierkrähen nur ein paar Hundert Meter weit vom Nest entfernen.

Den weitaus größten Teil der Brutverluste bei den Rabenkrähen verursachten aber die eigenen Artgenossen, nämlich diese Nichtbrüter. Eine Krähe hackt der anderen zwar kein Auge aus, frisst aber ihre Jungen! Wird ein Revier frei, versuchen die Nichtbrüter einzudringen und es für sich zu behaupten. In Großstädten, wie in München, gibt es daher häufig „Trios“ von Rabenkrähen.

Raben-Teams unterstützen sich in Brutzeit

Ein zweites Männchen hilft bei der Revierverteidigung des Paares und fördert den Bruterfolg. Während in der Stadt 2,3 Junge pro Brutpaar ausfliegen, erzielt der Krähenbestand auf dem Land nur 0,7 (Jahre 2002-04). Die revierlosen Krähen verursachen zu hohe Nestverluste. Das kommt jedoch nicht von ungefähr. Revierlose, in lockeren Schwärmen herumstreifende Rabenkrähen treten vor allem dort auf, wo die Krähen bejagt werden.

Von der Stadt über die Randsiedlungen zum Umland hin nehmen die Größen der Nichtbrüterschwärme zu. Die größten Ansammlungen können (abgesehen von Müllplätzen) im Dauergrünland erwartet werden, wo über die Bewirtschaftung der Wiesen die Bodenoberfläche zugänglich bleibt oder immer wieder frei gemacht wird für die Krähenschnäbel. Das „Defizit“, das der Jagddruck auf dem Land erzeugt, füllen die Überschüsse aus den nicht bejagten Gebieten leicht auf. Das Problem ergibt sich also aus dem Verhältnis von Brutbestand (Revieren) zu Nichtbrütern(Revierlosen). Ergebnis: Bejagung fördert die Revierlosen!

Wo die Bestände nicht bejagt werden, können sich die Revierlosen nicht ansammeln und länger aufhalten. Und in der Zeit, in der die Brutpaare der Rabenkrähen ihre Jungen mit Insekten füttern müssen, suchen die Revierlosen nach dem herum, was ihnen schmeckt. Eier von Fasanen zum Beispiel oder von anderen Vögeln! Eine Fläche von einem Quadratkilometer Größe können so 20 und mehr Rabenkrähen in genau der Zeit absuchen, in der die meisten Vögel Nester und kleine Junge haben, während die gleiche Fläche, so sie von festen Revieren abgedeckt ist, nur 2 bis 4 Krähen Nahrung liefern muss.

Krähenabschuss: gut oder schlecht für Singvögel?

So schafft sich der Krähenabschuss selbst ein Problem: Fördert er nämlich die Bildung lockerer, nicht an Brutreviere gebundener Schwärme, so wird er zwangsläufig auch die Verluste an Singvögeln und Niederwild steigern – und nicht vermindern, wie angenommen wird!

Der insgesamt bayernweit (und darüber hinaus) sehr ausgeglichene, über die Jahre hinweg kaum nennenswerten Schwankungen unterworfene Krähenbestand drückt höchst augenfällig aus, dass die Abschüsse leicht ausgeglichen werden. Sie vergrößern aller Wahrscheinlichkeit nur die Häufigkeit der Nichtbrüter-Gruppen und die Größe solcher umherschweifender, unsteter Schwärme. Das hatten schon Anfang der 1970er Jahre Untersuchungen im Vogelschutzgebiet Unterer Inn gezeigt. Vor Unterschutzstellung und Einstellung der Jagd hatte es darin zur Brutzeit umherstreifende Schwärme von bis zu 52 Rabenkrähen gegeben. Wenige Jahre nach Jagdeinstellung wurden keine Nichtbrüter-Gruppen mehr, sondern nur noch revierbesitzende Paare festgestellt.

Die umfangreiche Auswertung der Befunde zur Häufigkeit von Krähen und Elstern in Stadt und Land, die von Ulrich Mäck & Maria-Elisabeth Jürgens (1999) im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz erstellt worden war, ergab darüber hinaus, dass es keine Nachweise für die Beeinträchtigung der Singvogelbestände oder des Niederwildes durch diese Krähenvögel gibt.

Keinen guten Grund für die Jagd auf die Vögel

Auch eine starke Zunahme des Brutbestandes von Elstern in der Stadt führte nicht zum Rückgang der kleinen Singvögel, wie häufig angenommen wird. Es gibt daher keinen vernünftigen Grund, die Krähenvögel zu bejagen.

Am deutlichsten hat dies schließlich der jagdliche Großversuch zur umfassenden „Beutegreifer“- Reduzierung im Saarland gemacht! Im Sinne der jagdlichen Zielvorstellungen kann es wohl kaum sein, die Schwarmkrähen zu fördern! Auch nicht im Sinne des Vogelschutzes.

Darum wird der Krähenabschuss seit vielen Jahren abgelehnt.

Prof. Dr. Josef H. Reichholf
Sektion Ornithologie, Zoologische Staatssammlung München

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