· Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Hoffnung für das singende Nashorn

Das Sabah-Nashorn ist mit einem Meter dreißig Schulterhöhe und 500 bis 600 Kilogramm Gewicht das 'Kleinstes Nashorn der Welt'. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass nur noch knapp 50 Tiere in den Tieflandregenwäldern von Malaysia leben.

Ein Nashorn mit Gesangstalent

Einem Nashorn mag man ja alles Mögliche zutrauen. Aber Gesangstalent? Diese Vorstellung scheint so gar nicht zum gängigen Dickhäuter-Image zu passen. Umso überraschter war Petra Kretzschmar vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, als sie ein weibliches Sabah-Nashorn auf der Insel Borneo belauschte. "Das Tier badete in einem Schlammloch und sang dabei ununterbrochen vor sich hin", schildert die Biologin die ungewöhnliche Darbietung.

Töne wie bei Walgesängen

Minuten lang hingen auf- und absteigende Töne in der Luft, die an Walgesänge erinnerten. Dabei sind Sabah-Nashörner Einzelgänger, die kaum auf ein großes Publikum rechnen können. Für wen sie dann überhaupt singen, ist eines der vielen Rätsel, die Petra Kretzschmar und ihre Kollegen gern lösen würden. Sabah-Nashörner, die mit einem Meter dreißig Schulterhöhe und 500 bis 600 Kilogramm Gewicht den Titel "Kleinstes Nashorn der Welt" beanspruchen können, lassen sich allerdings nicht so leicht in die Karten schauen.

Unterart Sumatra-Nashorn lebt sehr zurückgezogen

Die Unterart des Sumatra-Nashorns mit dem wissenschaftlichen Namen Dicerorhinus sumatrensis harrissoni führt ein zurückgezogenes Leben in den Tieflandregenwäldern des malaysischen Bundesstaates Sabah im Norden Borneos. Wissenschaftliches Arbeiten in diesem Gelände bedeutet einen ständigen Kampf gegen drückende Schwüle und Regengüsse, gegen Blutegel und dauerfeuchte Kleidung. "Das geht wirklich an die Substanz", sagt Kretzschmar. Zumal nur selten spannende Tierbeobachtungen für die Strapazen entschädigen. Selbst Experten bekommen in freier Wildbahn so gut wie nie ein Sabah-Nashorn zu Gesich

Wenig bekannt über den Alltag der Dickhäuter

Entsprechend wenig ist über den Alltag der Dickhäuter bekannt. Fest steht, dass sie sich von Blättern ernähren, ein Faible für Schlammbäder haben und gut schwimmen können. Wenn sie sich bei ihren Artgenossen bemerkbar machen wollen, hinterlassen sie eine Duftbotschaft aus verspritztem Urin. Und auch der Gesang ist wahrscheinlich eine gute Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben. "Vielleicht dient er ja der Verständigung zwischen Mutter und Kind", vermutet Petra Kretzschmar. Dafür spricht, dass bisher nur Weibchen durch entsprechendes Liedgut aufgefallen sind.

Gesänge dienen vermutlich der Orientierung

Aus den Kehlen der Männchen kommen eher Rufe als Gesänge. Doch auch sie sind durchaus kommunikativ. Sich im Dämmerlicht des dichten Regenwalds nur auf seine Augen zu verlassen, ist schließlich auch nicht sonderlich erfolgversprechend. Zumal Nashörner ohnehin schlecht sehen. Ihre Stimmen aber könnten auch der Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen verhelfen. Die Berliner Forscher hoffen, die vierbeinigen Rufer und Sängerinnen mit Hilfe einer Stimmerkennungs-Software auseinanderhalten zu können. So ließe sich mehr darüber herausfinden, wie viele Sabah-Nashörner es eigentlich gibt. Groß ist der Bestand jedenfalls nicht.

Knapp 50 Tiere durchstreifen den Regenwald

Nach Schätzungen, die auf der Analyse von Fußspuren beruhen, sollen nur noch etwa 50 Exemplare durch zwei isolierte Regenwald-Gebiete in Sabah trotten. Der Rest ihres einst viel größeren Lebensraums musste den allgegenwärtigen Ölpalmenplantagen weichen. "Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird es diese faszinierenden Tiere bald nicht mehr geben", sagt Petra Kretzschma

Rettungsprogramm für das musikalische Nashorn

Das kleinste und musikalischste Nashorn der Welt wäre nur noch Geschichte. Um das zu verhindern, haben das IZW und der Leipziger Zoo gemeinsam mit malaysischen Behörden und Naturschutzorganisationen ein großes Rettungsprogramm gestartet. "Dabei arbeiten Freilandbiologen, Tierärzte und Zoofachleute eng zusammen", betont IZW-Direktor Heribert Hofer. Gemeinsam haben sie einen ausgefeilten Management-Plan entwickelt, der das Problem der schwindenden Nashorn-Bestände gleich von mehreren Seiten angeht. Ökologische Untersuchungen sollen zum Beispiel klären, wo in ihrem Lebensraum sich die Tiere besonders gern aufhalten. Solche Nashorn-Oasen lassen sich dann besonders schützen oder sogar neu anlegen.

Zuchtstation wird aufgebaut

Damit es dafür auch genügend Bewohner gibt, wollen die Projektmitarbeiter zudem eine Zuchtstation aufbauen und den dort geborenen Dickhäuter-Nachwuchs später auswildern. Die geplante Kinderstube ist ein eingezäuntes Waldgebiet im Schutzgebiet Tabin Wildlife Reserve, das im Osten Sabahs liegt. Schon im Jahr 2005 hatten die Forscher zwei Nashörner für das Zuchtprogramm im Auge, die man auf Plantagen eingefangen hatte, um sie vor Wilderern zu schützen. So einfach zusammen sperren konnten die Forscher die potenziellen Eltern allerdings nicht.

Timing entscheidet über ein gelungenes Rendevous

Außerhalb der Paarungszeit wären die ungeselligen Tiere vermutlich aufeinander losgegangen. Für ein gelungenes Rendezvous musste das Weibchen also paarungsbereit sein. Um den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen, prüften Petra Kretzschmar und ihre Kollegen daher immer wieder den Hormonspiegel des Tieres und beobachteten sein Verhalten. Doch sein Zyklus blieb unregelmäßig. Dennoch bescheinigte ein Team von Tierärzten um Thomas Hildebrandt vom IZW dem Tier einen erstaunlich guten Gesundheitszustand. Nichts sprach gegen eine Schwangerschaft.

Lange Gesichter beim paarungswilligen Männchen

Lange Gesichter rief dagegen das Testergebnis des Männchens hervor. Das hatte zwar einen normalen Testosteronspiegel und ein offensichtliches Interesse an Sex. "Immer wieder versuchte es, sich mit den Baumstämmen in seinem Gehege zu paaren", berichtet Petra Kretzschmar. Doch aus unerfindlichen Gründen war es nicht in der Lage, Spermien zu produzieren. Den Forschern kam ein Verdacht: Waren die Sabah-Nashörner durch Pestizide aus den Ölpalmenplantagen zeugungsunfähig geworden? "Die neusten Untersuchungsergebnisse haben das zum Glück nicht bestätigt", sagt Petra Kretzschmar. Ende November haben Thomas Hildebrandt und seine Kollegen bei einem weiteren kürzlich gefangenen Bullen genügend Spermien gefunden. Dafür ist jetzt das etwa 30-jährige Weibchen schon zu alt, um auf natürlichem Weg Mutter zu werd

Leihmutter aus dem Zoo

Doch eine Chance gibt es noch: Mit den neusten Methoden der Reproduktionsmedizin wollen die IZW-Forscher dem Tier Eizellen entnehmen und diese im Reagenzglas mit dem Sperma des Bullen befruchten. Das so entstehende Retorten-Nashorn soll dann von einer Leihmutter ausgetragen werden. Für diese Aufgabe käme zum Beispiel ein Zoo-Nashorn einer häufigeren Art infrage.

Isolierte Nashörner sollen für Zucht gefangen werden

Außerdem gibt es noch vereinzelte Sabah-Nashörner, die isoliert in kleinen Waldinseln leben und dort keinen Kontakt mehr zu ihren Artgenossen haben. Diese Tiere will die malaysische Regierung einfangen und in die Zuchtstation bringen lassen, damit sie sich verpaaren können. In dem großen, eingezäunten Regenwald-Gelände sollen die Weibchen ihrem Nachwuchs dann alles Nötige für ein Leben in freier Wildbahn beibringen.

Ohne geeignete Lebensräume bleibt Zucht sinnlos

Das nützt nichts, wenn es keinen Regenwald mehr gibt, in den die Tiere zurückkehren können. Deshalb hat Kretzschmar gemeinsam mit Kollegen eine Organisation namens "Rhino and Forest Fund" gegründet. Mit Hilfe von Spenden soll Land gekauft und wieder aufgeforstet werden, um die beiden verbliebenen Nashorn-Lebensräume in Sabah mit einem Waldkorridor zu verbinden. Die Forscher hoffen, dass dann auch in Zukunft noch geheimnisvolle Gesänge aus den Schlammlöchern Borneos ertönen werden. Mehr Informationen zum IZW

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