Was hat ein intelligenter Autoreifen mit einer wunderwirkenden Sonnencreme gemein? Was hat ein Thermoanorak, der seine Farbe je nach Laune des Trägers wechselt, mit einer Wandfarbe zu tun, die keinen Schmutz annimmt? Und was haben geruchsabweisende Socken mit der gezielten Zerstörung von Krebszellen zu tun? – In ihnen allen steckt Nanotechnologie.
Heute lassen sich Partikel herstellen, die ein Millionstel Millimeter groß sind und nur aus wenigen Atomen oder Molekülen bestehen. Sie besitzen physikalische, chemische oder biologische Fähigkeiten, die ihnen außerordentliche Widerstandskraft, Flexibilität, Leichtigkeit oder Speicherkapazität verleihen, und machen somit ganz neue Anwendungen in Informatik, Industrie, Umwelt und Medizin möglich.
Das lässt sich an der Blut-Hirn-Schranke gut veranschaulichen. Sie schützt unser zentrales Nervensystem und ist für Krankheitserreger im Blut ebenso unüberwindlich wie für 98 Prozent aller Arzneien. Doch für Nanoteilchen existiert die Barriere nicht. Zu Testzwecken verabreichte Partikel ließen sich schon nach kurzer Zeit im Hirn nachweisen.
Die Pharmaindustrie leitet aus dieser Beobachtung große Hoffnungen ab – für Schwerkranke und für sich selbst. Denn mit Wirkstoffen beschichtete Nanopartikel sollen Medikamente direkt ins Hirn transportieren, um bislang unheilbare Erkrankungen zu heilen. Problematisch wird es allerdings, wenn Partikel ins Hirn gelangen, die man dort nicht hingeschickt hat.
Von diesen Risiken ist wenig die Rede. Industrie, Wissenschaft und Politik sehen in der Zwergentechnologie (nanos =griech. Zwerg) ein gigantisches Marktpotenzial. Die technologische Revolution wird in den Labors in Tokio, Berkeley und Grenoble vorangetrieben. Deren Produkte lassen inzwischen die Grenzen zerfließen zwischen dem Realen und dem Virtuellen, zwischen lebendiger und toter Materie.
Intelligente Nanopartikel lassen sich in unsere Körper und unsere Umwelt einschleusen und eröffnen unbegrenzte Perspektiven für die Wirtschaft. Schon heute liegt der weltweite Umsatz im zweistelligen Milliardenbereich, bis 2015 soll er auf tausend Milliarden Euro wachsen. 2006 enthielten bereits 700 Produkte nanometrische Inhaltsstoffe und etwa 80 Hersteller verkauften 1400 Arten von Nanopartikeln.
Die Industrie, die aus dem Asbestskandal und der breiten Ablehnung genetisch modifizierter Organismen gelernt hat, versucht derweil, möglichen Widerspruch gegen die neue Technik im Keim zu ersticken.
Doch mit der Behauptung, wir seien ohnehin schon von lauter angeblich harmlosen Nanopartikeln aus Natur, Industrie- oder Autoabgasen umgeben, lässt sich die Diskussion nicht abwürgen. Eine Anreicherung nanotechnologischer Teilchen in der Umwelt etwa könnte Ökosysteme stören oder Menschen vergiften. Dabei hinkt die Risikokontrolle – etwa durch Normen, Gesetze und Transparenzverpflichtungen – den Anwendungen hinterher, nicht zuletzt weil aus Gründen der industriellen oder militärischen Geheimhaltung ihre Gefahren gar nicht bekannt sind.
Dagegen weiß man, dass Nanopartikel nicht nur über die Atemwege, sondern auch über die Haut in den Körper eindringen können. Sie können Zellkerne erreichen, angeblich undurchlässige Membranen durchdringen und sich im zentralen Nervensystem einnisten. Beim Produktionsprozess können Arbeitnehmer mit Nanopartikeln in Kontakt kommen. Es ist also vorauszusehen, dass sich die Umwelt mit nanotechnologischen »Krümeln« anreichert, die Ökosysteme stören oder Menschen vergiften. Wird es es dann irgendwann – wie beim Asbest – erneut heißen, man habe von nichts gewusst?
Größer als die Vergiftungsgefahr scheinen jedoch die Risiken für die persönlichen Freiheiten zu sein. Reiskorngroße Hochfrequenzsender – so genannte RFID-Chips – können jedem Menschen unbemerkt angehängt werden, um ihn permanent zu überwachen. Der »intelligente Staub«, von dem US-Militärberater heute noch träumen, könnte dereinst in einer Armee von staubkorngroßen Robotern Feindesland ausspionieren – oder zur Überwachung von Zivilisten eingesetzt werden.
Ebenso wie die Gentechnik muss auch die Nanowissenschaft für Politiker, Wissenschaftler, Industrie und Bürger transparent werden, und zwar weltweit. Schließlich kann kein Land im Alleingang auf maximaler Sicherheit und Transparenz beharren, weil es damit lukrative Patente und Zukunftsmärkte aufs Spiel setzen würde. Und angesichts der globalen Verbreitung der Nanopartikel kann auch ein Verbot in einem einzelnen Staat den Bürgern keinen völligen Schutz bieten. 2007 hat deshalb eine große Gruppe kritischer Wissenschaftler aus aller Welt mit Nachdruck gefordert, dass die Nanohersteller kontrolliert und für die Risiken ihrer Technik haftbar gemacht werden müssen.
Michel Urvoy ist Redakteur für Wirtschaft und Landwirtschaft bei der Tageszeitung Ouest-France.
Quelle:
Atlas special - Klima,
Le Monde diplomatique.
© 2007
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