Gut ausgebaute Zufahrtsstraßen und zentrale Parkmöglichkeiten haben die Autos in die Innenstädte gelockt. Deshalb sind heute die Straßen überfüllt, die Unfallgefahr für Fußgänger und Radfahrer hat sich erhöht und die Stadtbewohner müssen schädliche Abgase einatmen.
Ein Beispiel: Nach Zahlen der EU-Kommission ist die Feinstaubbelastung in Deutschland für jährlich 65.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich. Verstopfte Zufahrtswege mindern auch die Umsätze von Geschäften und Betrieben. Da unter diesen Verhältnissen auch der öffentliche Nahverkehr leidet, verbraucht der weitgehend individualisierte Stadtverkehr so viel Treibstoff und emittiert so viele Treibhausgase wie der ganze übrige Verkehr zusammen. Und die für den Straßenbau aufgewendeten Haushaltsmittel strapazieren die städtischen Budgets.
Diese Verkehrspolitik ist teuer und extrem kurzsichtig. Dabei geht es auch anders. Die Stadt Zürich macht vor, wie der Individualverkehr ohne wirtschaftliche Einbußen auf 30 Prozent reduziert werden kann. Der öffentliche Nahverkehr erhielt Vorrang vor dem Individualverkehr und wurde konsequent ausgebaut – von der Erweiterung der Straßenbahnlinien, die effektiver und kostengünstiger sind als U-Bahnen, bis hin zur Einrichtung von Anrufsammeltaxis und -bussen.
Derartige Konzepte funktionieren allerdings nur, wenn es gelingt, die Autofahrer von den Vorteilen des öffentlichen Nahverkehrs zu überzeugen. Unzureichende Informationen, überfüllte Busse und Bahnen, unpünktliche Busse, langes Warten auf Anschlüsse und ungünstige Taktzeiten ermuntern jedenfalls nicht gerade zum Umsteigen. Auch ein kompliziertes Tarifsystem schreckt viele ab.
Die öffentlichen Verkehrsmittel können die Mobilitätsbedürfnisse in der Stadt nicht vollständig abdecken. Deshalb müssen Fahrrad- und Fußgängerwege ausgebaut werden. Ein Vorbild sind in dieser Hinsicht europäische Städte wie Kopenhagen, Amsterdam, Münster oder Bremen. In Amsterdam und Kopenhagen gibt es genauso viele Radfahrer wie Fahrgäste des öffentlichen Nahverkehrs.
Solche umweltverträglichen Ansätze bleiben jedoch wirkungslos, solange dem Autoverkehr Vorrang eingeräumt wird. Eine überzeugende Politik muss deshalb konsequent auf umweltverträglichere Fortbewegungsmittel setzen, das heißt autofreie Zonen schaffen und Geschwindigkeitsbegrenzungen einführen.
Intelligente Kombinationen von öffentlichem Nah- und Fernverkehr sowie Park-&-Ride-Konzepte machen den Bau von innerstädtischen Parkhäusern und von Umgehungsstraßen überflüssig, die häufig durch Wohngebiete führen. Vielerorts geschieht immer noch das Gegenteil: Grenoble plant einen 6 Kilometer langen Straßentunnel unter der Innenstadt. In Bad Godesberg wurde für die Bundesstraße nach Bonn ein knapp zwei Kilometer langer Tunnel gegraben.
Die vernünftige Alternative wäre, den Verkehr zu verlangsamen und das Straßennetz für Fußgänger, Radfahrer und öffentliche Verkehrsmittel freizugeben. Außer auf Durchgangsstraßen sollte Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit werden. In der Schweiz wurden in einigen Städten »Begegnungszonen« eingeführt, in denen Fußgänger und Radfahrer Vorfahrt gegenüber den Autos genießen, die hier nur in Schrittgeschwindigkeit rollen dürfen.
Der Stadtverkehr sollte auch mittels finanzieller Instrumente eingeschränkt werden. Über die Anhebung der Parkgebühren kann man die Menschen davon abhalten, mit dem Auto aus dem Umland ins zentral gelegene Büro zu fahren. Dazu trägt die Einführung einer Citymaut bei, wie sie bereits erfolgreich in London und Stockholm eingeführt wurde, aber auch in deutlich kleineren Städten wie Oslo, Bergen und Trondheim. Die Einnahmen sollten in den öffentlichen Nahverkehr und nicht in den Straßenbau fließen, wie es in Norwegen geschieht.
Ein weiterer Schritt ist die Entmotorisierung der Stadtbewohner. Die wird durch Carsharing unterstützt, das in der Schweiz schon weit verbreitet ist und auch in Deutschland allmählich an Bedeutung gewinnt. So sind Organisationen wie Stadtmobil, cambio CarSharing oder Greenwheels mittlerweile in 250 deutschen Städten und Gemeinden vertreten. Auch die Deutsche-Bahn-Tochter DB Rent bietet Carsharing bundesweit an, wenngleich nicht an allen Bahnhöfen.
Carsharing ist nicht zuletzt deshalb ein so überzeugendes Konzept, weil die beteiligten Stadtbewohner für die Wege, die sie jeden Tag zurücklegen, ohne Auto auskommen müssen. Und falls sie wirklich einmal mit dem Auto fahren wollen oder müssen, steht ihnen eines zur Verfügung. In einigen deutschen Städten existieren Fahrradmietsysteme, die von Kommunen, privaten Sponsoren oder der DB-Tochter Call a Bike aufgebaut und unterstützt werden.
Um die Schadstoffbelastung zu senken, haben Städte wie Hannover, Köln und Berlin zum 1. Januar 2008 Umweltzonen eingerichtet. Dort dürfen nur noch Autos fahren, deren Schadstoffausstoß eine bestimmte Höchstgrenze nicht überschreitet. Gesetzliche Grundlage ist die seit 1. März 2007 gültige Kennzeichnungsverordnung.
Außerdem können laut Bundesverfassungsgerichtsurteil vom September 2007 die Anwohner von Straßen mit besonders hoher Feinstaubbelastung ihr Recht auf saubere Atemluft gerichtlich durchsetzen, auch wenn die entsprechende Kommune keinen Aktionsplan zur Luftreinhaltung hat. Sie können somit Maßnahmen wie Tempolimits oder Sperrungen für den LKW-Verkehr einfordern.
Jean Sivardière ist Vorsitzender des französischen Dachverbandes der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel (FNAUT).
Mehr Informationen zum Thema:
Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme an der ETH Zürich
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Quelle:
Atlas special - Klima,
Le Monde diplomatique.
© 2007
Mehr dazu
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