Der Konflikt zwischen den »verfeindeten Brüdern« Indien und Pakistan ist nach wie vor einer der gefährlichsten politischen Sprengsätze der Welt. Die Konfrontation, in der sich die föderale und laizistische Republik Indien und die Islamische Republik Pakistan gegenüberstehen, speist sich aus einer Mixtur von historischen, geopolitischen und religiösen Faktoren.
Seit der Aufteilung von Britisch-Indien haben die beiden Länder drei mörderische Kriege gegeneinander geführt, wobei es in zwei Fällen um Kaschmir ging. Die Rivalität spitzte sich noch weiter zu, als die beiden Kontrahenten 1998 die Entwicklung von Atomwaffen verkündeten.
Als die USA 2001 in Afghanistan intervenierten, stützten sie sich auf Pakistan als ihrem Hauptverbündeten in der Region. Doch zugleich gingen sie auch auf Neu-Delhi zu, um zum einen die politischen Entwicklungen in der Region stärker beeinflussen zu können, zum anderen aber dem wachsenden Einfluss Chinas entgegenzutreten.
Damit haben sich die USA eine entscheidende Position in einer Großregion verschafft, in der 1,3 Milliarden Menschen leben.
Ein erster Schritt zur Deeskalation des indisch-pakistanischen Konflikts erfolgte im Januar 2004 mit dem Treffen zwischen dem damaligen indischen Premierminister Atal Bihari Vajpayee und dem pakistanischen Präsidenten General Pervez Musharraf in Islamabad. Dieser Dialog wurde auch mit dem neuen indischen Premierminister Manmohan fortgeführt.
Bei ihrem Treffen in Neu-Delhi im Juni 2004 verständigten sich die Regierungschefs beider Länder auf Maßnahmen, die der Vertrauensbildung dienen und die Gefahr einer nuklearen Konfrontation eindämmen können. Damit kam das Thema der Atomwaffen erstmals seit 1998 wieder auf den Tisch. Beschlossen wurde eine Verlängerung des Atomwaffentest-Moratoriums von 1999 und die Einrichtung eines »roten Telefons« zwischen Neu-Delhi und Islamabad.
Der Dialog hat die Spannungen zwar verringert, doch in den beiden Kernfragen Kaschmir und Nuklearwaffen liegen die Standpunkte immer noch weit auseinander. Im Fall Kaschmir bleibt ein Kompromiss unwahrscheinlich, da die eigentliche Ursache des Konflikts, die auch zum ersten Krieg von 1947 geführt hat, nach wie vor besteht: Die Region Kaschmir wurde an Indien angegliedert, während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung muslimisch ist und obwohl die Aufteilung der ehemaligen Kolonie nach dem Kriterium der Religionszugehörigkeit erfolgte.
Der bewaffnete Aufstand in Kaschmir, der 1989 begann, hat seine Ursachen unter anderem in der Haltung Neu-Delhis, das die Zugehörigkeit Kaschmirs zur Indischen Unionfür nicht verhandelbar erklärt, in der massiven indischen Militärpräsenz und der politischen Marginalisierung der Bevölkerung.
Die Aktionen der Rebellengruppen, die sich aus jungen Kaschmiris, aber auch aus islamistischen Kämpfern pakistanischer Herkunft zusammensetzen, kostet Jahr für Jahr mehrere tausend Todesopfer.
Neu-Delhi beschuldigt Islamabad, den »Terror« in Kaschmir zu unterstützen. Dagegen spricht die Regierung in Islamabad von einem »nationalen Befreiungskampf«, die islamistische Bewegung sogar vom »heiligen Krieg«.
Solange Präsident Musharraf Pakistan mit eiserner Hand regiert und die Unterstützung der USA genießt, wird derKaschmirkonflikt auf Sparflamme gehalten, worüber sich Indien höchst zufrieden zeigt.
Doch der starke Mann in Islamabad hat zahlreiche Gegner, die ihm das Bündnis mit Washington nie verzeihen werden, zumal seine Gegenleistung darin besteht, unter dem Etikett des Kampfes gegen den Terrorismus die radikalen Islamisten zu unterdrücken und die pakistanische Armee zur Jagd auf die afghanischen Taliban einzusetzen.
Wenn in Islamabad demnächst die Anhänger des Dschihad an die Macht gelangen sollten, würde ihnen auch die Verfügungsgewalt über die Atomwaffen zufallen. Eine solche Aussicht muss umso mehr beunruhigen, als weder Pakistan noch Indien die internationalen Abkommen unterzeichnet haben, die eine Weiterverbreitung von Atomwaffen verbieten.
Völlig ungestraft konnte Kader Khan,ein der Armee nahe stehender pakistanischer Atomwissenschaftler, nukleare Technologie nach Iran, Libyen und Nordkorea liefern, und der »Vater« der pakistanischen Bombe gilt auch heute noch als Nationalheld.
Der indisch-pakistanische Rüstungswettlauf wird auch deshalb so entschlossen fortgesetzt, weil die internationalen Sanktionen, die 1998 nach den ersten atomaren Erfolgsmeldungen gegen beide Länder verhängt worden waren, Ende 2004 praktisch wieder aufgehoben wurden. Die USA haben 2006 die Lieferung ziviler Atomtechnolgie zugesagt.
Manche Beobachter hoffen, dass die USA ihre Rolle als Rüstungslieferant und Partner beider Länder dazu nutzen werden, den indisch-pakistanischen Dialog voranzutreiben und wirksame Kontrollen durchzusetzen.
Andere hegen im Gegenteil die Befürchtung, dass die neue Rolle der USA dazu beitragen könnte, die Machtkonkurrenz zwischen beiden Ländern und damit den Rüstungswettlauf in Südasien erneut anzuheizen – zu Lasten der wirtschaftlichen Entwicklung und der Demokratie.
Roland-Pierre Paringaux ist Journalist.
Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
© 2006
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