Der britische Wirtschaftshistoriker Angus Maddison hat berechnet, dass zwischen 1820 und 1998 die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in Japan um das Dreißigfache, in Westeuropa um das Fünfzehnfache und im Rest der Welt um das Drei- bis Neunfache gestiegen ist. Selbst in Afrika lag der Faktor noch bei 3,3. Dennoch leben auch heute noch hunderte von Millionen Menschen in Armut und Analphabetentum, haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und leiden an Unterernährung. Zugleich verdient das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung ebenso viel wie die ärmsten 57 Prozent zusammen.
Die Kosten dieses Wachstums zeigen sich auch in der Klimaveränderung. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt weiter. Heute sind es noch 380 ppm (parts per million), für 2050 werden 500 ppm prognostiziert. Dann hat sich der CO2-Wert seit dem Beginn der Industrialisierung verdoppelt. Verantwortlich dafür sind in erster Linie die reichen Nationen: Ein US-Bürger setzt pro Jahr etwa 5.500 Kilogramm Steinkohlenäquivalent frei, ein Nepalese nur 35. Der mittelfristig akzeptable Durchschnittswert läge bei 500 Kilogramm.
Zu Option 1 haben sich die Vereinten Nationen verpflichtet. 1987 empfahlen die UN in ihrem Brundtland-Bericht, »den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne die Möglich-keiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen «. Dieser Weg der nachhaltigen Entwicklung ermöglichte 1997 die Annahme des Kiotoprotokolls zum Abbau der CO2-Emissionen.
Doch der Ansatz basiert auf dem falschen Versprechen, ständiges Wachstum zu ermöglichen und zugleich dessen soziale und ökologische Probleme zu lösen. Selbst durch verbesserte Fertigungstechnologien und den Übergang zur Dienstleistungswirtschaft bleibt es bei einer relativ geringen Ressourcenersparnis , wenn die Produktion in absoluten Zahlen weiter deutlich zunimmt.
Option 2 verwirft jede Entwicklung und verlangt negatives Wirtschaftswachstum. Ihre Befürworter verneinen einen Unterschied zwischen Wachstum und Entwicklung und behaupten, dass auch Letztere nur die Herrschaft des Westens über den Rest der Welt fortschreibt.
Wer diese Position vertritt, ignoriert allerdings, dass die Güterproduktion im Interesse der ärmsten Teile der Weltbevölkerung erheblich gesteigert werden muss. Aus dem Konzept des negativen Wirtschaftswachstums entsteht schließlich ein Kulturrelativismus, der die Armut auf der Welt schlicht zu einer Projektion westlicher Werte und Wahrnehmungen erklärt.
Option 3 basiert auf drei Überlegungen, die sich gegen den aktuellen Trend von Deregulierung und Liberalismus stellen:
• Alle Menschen dieser Erde haben das Recht auf Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse. Dazu gehören neben politischer Freiheit auch Ernährung, Bildung, Hygiene und Gesundheit. Dies beinhaltet das Recht auf Wirtschaftswachstum, allerdings in differenzierter Form.
• Produktionszweige, in denen Wachstum notwendig ist, sind von solchen zu unterscheiden, die – insbesondere in den reichen Nationen – eingeschränkt werden müssen.
• Ein neues Verständnis von Reichtum ist heute unerlässlich. Statt um jeden Preis Produktion und Konsum voranzutreiben, gilt es, die Arbeitszeiten zu verkürzen, dem Gebrauchswert den Vorrang vor dem Marktwert einzuräumen und den öffentlichen Sektor mit Kranken- und Rentenversicherung auszubauen, statt Privatversicherungen zu fördern. Die globalen öffentlichen Güter (»global public goods«, d. h. Ressourcen und Know-how, sind gemeinsam zu verwalten und dürfen nicht privatisiert werden.
Die Rentabilitätsansprüche des Kapitals kollidieren mit den Prinzipien einer lebenswerten Natur und Gesellschaft. In ihrer kulturellen Dimension verweist die gegenwärtige Wirtschaftskrise darauf, dass Fortschritt nicht länger selbstverständlich ist und die Gesellschaft dies begreift.
Die Idee des Fortschritts, die aus der Philosophie der Aufklärung stammt, geriet zum ideologischen Rahmen der Industriellen Revolution.
Heute wissen wir, dass die damit einhergehende Entwicklung der Wirtschaft auch ihre Schattenseiten hat.
Das heißt nicht, dass jeglicher Fortschrittsgedanke aufgegeben werden muss. Aber wir müssen die Risiken des ungebremsten Wachstums und die zunehmenden Ungleichheiten in der Gesellschaft zur Kenntnis nehmen, und deshalb ist es vernünftig, die menschliche Entwicklung von Produktionssteigerung und Konsumzuwachs abzukoppeln.
Damit stellt sich die Frage, wie die sozialen Beziehungen geregelt werden sollen, die derzeit dem Imperativ der Kapitalakkumulation unterworfen sind. Dies zu verändern wäre ein ehrgeiziges Projekt – das jedoch nur dann greifen kann, wenn menschliches Handeln im Kontext der Biosphäre gedacht wird.
Jean-Marie Harribey ist Dozent an der Universität Bordeaux IV und ist Koordinator des von Attac herausgegebenen Buchs „ Le développement a-t-il un avenir? Pur une société solidaire et économe“, Paris (Mille et une nuits) 2004.
The network of growth objectors for the post-development - ROCADe
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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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