In den letzten zwanzig Jahren ist der Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen überall gestiegen. Zudem verdienen Frauen heute mehr als in der Vergangenheit. In den Ländern des Nordens setzte dieser Trend bereits in den 1960er-Jahren ein, seit den 1990er-Jahren ist hier der Prozentsatz der berufstätigen Frauen im nichtlandwirtschaftlichen Sektor von 42 auf 44 Prozent gestiegen. Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, ist im Süden der Welt zu beobachten.
Fortschritte bei der Beschulung und Alphabetisierung von Mädchen und Frauen tragen in der Dritten Welt dazu bei, dass sich die Lücke zu den Männern langsam schließt. In Verbindung mit zunehmender Urbanisierung führt dies dazu, dass die Frauen später heiraten und häufiger Verhütungsmittel verwenden, sodass die Geburtenzahlen sinken. Immer mehr Frauen entscheiden selbst, wie ihr Leben aussehen soll, und lassen ihre Zukunft nicht mehr von der Familie bestimmen.
Dabei ist dieser Fortschritt nicht Folge eines spontanen gesellschaftlichen Wandels, sondern er wurde erkämpft. Auch ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen und kann durchaus wieder rückgängig gemacht werden. Zudem stellt sich die Entwicklung in den einzelnen Regionen höchst unterschiedlich dar – in Südasien und im Afrika südlich der Sahara sieht es viel schlechter aus.
Unterschiede gibt es auch innerhalb einzelner Länder, zwischen Stadt und Land sowie zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen. Die abseits der Zentren in Armut lebenden Frauen gehen nach wie vor nicht zur Schule, sind Analphabetinnen und haben keinen Zugang zu Verhütungsmitteln oder medizinischer Versorgung. Drei Fünftel der 115 Millionen Kinder auf der Welt, die nicht zur Schule gehen, sind Mädchen. Und zwei Drittel der 876 Millionen Erwachsenen, die weder lesen noch schreiben können, sind Frauen.
Solche Rückschritte, die auf unterschiedliche Weise dem allgemeinen Trend zuwiderlaufen, sind in erster Linie eine Folge der Wirtschaftspolitik. In den Industriestaaten des Westens wie des Ostens führen der Sozialabbau und die Privatisierung von immer mehr öffentlichen Leistungen dazu, dass für Frauen die Last der Arbeit in der Familie– etwa Kinderbetreuung oder Altenpflege – ständig zunimmt.
So verschärft die Rentenreform in Frankreich die Verzerrungen, unter denen sie bereits in den Jahren ihrer Erwerbstätigkeit zu leiden hatten: niedrigere Löhne und Gehälter, Abbruch der Berufstätigkeit oder Karriereknick, weil sie sich um die Kinder kümmern. Mehr als 80 Prozent der armen Beschäftigten sind Frauen – eine Folge von mehr Teilzeitbeschäftigung und geringeren Löhnen.
Die zunehmende Armut in Osteuropa lässt immer mehr Frauen zu Opfern von Menschenhandel und Prostitution werden. Kindermädchen und Hausangestellte, die im Ausland arbeiten, werden oft geschlagen und sexuell missbraucht.
Im Süden sind es die Strukturanpassungsprogramme, die häufig drastische Auswirkungen auf die Beschulung und die Gesundheit haben. Wenn Schule und medizinische Versorgung Geld kosten, sind zuerst die Mädchen und Frauen zum Verzicht gezwungen.
Damit wird den Frauen ein Leben in sicheren Verhältnissen erschwert, zumal sie den größten Anteil der Arbeitskräfte im informellen Sektor stellen. Das gilt vor allem in Ländern, die landwirtschaftliche Erzeugnisse in erster Linie für den Export und nicht für den Eigenverbrauch produzieren.
Die Unterdrückung der Frauen ist strukturell bedingt und hat eine lange Geschichte. Globalisierung und Liberalisierung können daher nicht als die Wurzel allen Übels betrachtet werden. Die Zunahme der wahrgenommenen »Ehrenmorde« und von Zwangsheiraten, geschlechtsspezifische Sondergesetze über den persönlichen Status in Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Algerien und in Zentralasien haben andere Ursachen.
Überdies bestehen komplexe Beziehungen zwischen der patriarchalen und der kapitalistischen Gesellschaft. Denn auch in Europa und den USA ist eine Rückkehr zu den männerdominierten und religiösen Traditionen und eine erneute Bekräftigung von Sitte und Moral zu beobachten.
Zugleich entsteht in den Betrieben der multinationalen Konzerne in Asien, Afrika und Lateinamerika ein neuer Typ von Arbeiterinnen. Nicht wenige Frauen arbeiten zuweilen unter Bedingungen, die an das Europa des 19. Jahrhunderts erinnern. Doch der Zugang zu eigener Arbeit und eigenem Einkommen destabilisiert die soziale Ordnung der Kasten und Religionen und mit ihr die Herrschaft des Patriarchats. Die Abschottung in der Familie wird aufgehoben – selbst wenn das transnationale Kapital diese Entwicklung zur gnadenlosen Ausbeutung nutzt.
Stephanie Treillet ist Autorin von „L'Economie du développement“, Paris (Nathan) 2006.
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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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