Globalisierung und Konflikte:

Neue Fronten in Nahost

Der iranisch-saudische Kampf um die Vormacht überlagert inzwischen viele Konflikte in der Region.

Der Nahe Osten gehört heute zu den instabilsten Regionen der Welt. Viele sehen darin das Resultat des »gescheiterten« Arabischen Frühlings, der die Hoffnungen auf eine friedliche Erneuerung in der arabischen Welt nicht erfüllen konnte. Allerdings wäre es zu einfach, den gegenwärtigen Zustand der Region allein auf die Volksaufstände des Jahres 2011 zurück zuführen. Denn viele Konflikte gehen zurück bis weit vor die Zeit des Arabischen Frühlings.

Als »Mutter« aller Konflikte im Nahen Osten wird gemeinhin der israelisch-arabische Konflikt betrachtet. Mit der Gründung Israels 1948 begann eine Jahrzehnte währende Auseinandersetzung zwischen dem jüdischen Staat und seinen arabischen Nachbarn, die zu mehreren Kriegen führte und lange Zeit den zentralen Brennpunkt in der Region darstellte. Heute ist dieses Spannungsfeld weitgehend auf den israelisch-palästinensischen Konflikt zusammengeschrumpft.

Ägypten und Jordanien schlossen mit dem einstigen Erzfeind Friedensverträge (1979 beziehungsweise 1994), und auch in der übrigen arabischen Welt wurde die Unterstützung für die palästinensischen »Brüder« immer mehr zu einer Leerformel, an der man einzig mit Blick auf die Stimmung in der eigenen Bevölkerung festhielt. So kooperiert Ägypten schon seit 2005 bei der Isolation des Gazastreifens mit Israel; und die seit 2017 erkennbare Annäherung zwischen Riad und Tel Aviv zeigt, dass den Saudis die Eindämmung Irans weit wichtiger ist als die Unterstützung der palästinensischen Bemühungen um einen eigenen Staat.

Bis zum Ausbruch des Kriegs in Syrien 2011 war auch das Regime in Damaskus für Israel eigentlich ein verlässlicher Partner. Zwar befinden sich beide Staaten seit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 offiziell im Kriegszustand, doch an der syrisch-israelischen Grenze auf dem Golan war es jahrzehntelang ruhig geblieben. Mit seinen Luftangriffen auf Ziele in Syrien will Israel in erster Linie Irans Präsenz in Syrien einschränken und eine Ausweitung von Hisbollah-Stellungen auf syrisches Territorium verhindern.

Heute betrachtet Israel weniger seine arabischen Nachbarländer, sondern Iran als Hauptfeind und größte Bedrohung. Dessen Aufstieg zu einem der stärksten Akteure in der Region begann mit der Islamischen Revolution 1979, ein Ereignis, das wie kein zweites die regionale Ordnung im Nahen Osten verändert hat. Den damaligen Sturz des vom Westen unterstützten Schahregimes betrachteten die Autokraten der arabischen Welt mit größtem Argwohn – aus Angst vor ähnlichen Entwicklungen im eigenen Land.

Iran-Irak-Krieg

Im kurz darauf folgenden Iran-Irak-Krieg (1980–1988) verband sich der iranische Nationalismus mit der Ideologie des schiitischen Islam, die der Diskriminierung der Schiiten durch die Sunniten ein Ende setzen will. Kein Wunder also, dass diese Entwicklung den sunnitischen arabischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien, wo selbst eine schiitische Minderheit lebt, ein Dorn im Auge war.

Von Beginn an versuchte Saudi-Arabien dem Aufstieg Irans entgegenzuwirken. Im Iran-Irak-Krieg stellte sich Riad zunächst auf die Seite von Iraks Diktator Saddam Hussein. Als der dann im Sommer 1990 in Kuwait einmarschierte, beteiligten sich die Saudis allerdings an der US-geführten Allianz gegen die irakische Invasion, auch weil sie sich durch die Unterstützung der irankritischen USA eine Eindämmung Teherans versprachen.

Die Invasion der US-geführten »Koalition der Willigen« 2003 im Irak eröffnete Iran neue Chancen, seine Vormachtstellung in der Region auszubauen. Durch den Sturz des Regimes von Saddam Hussein bekam die lange unterdrückte schiitische Mehrheit im Irak wieder politisches Gewicht. Sie dominiert seither die Regierung in Bagdad – was den Einfluss Irans im Nachbarland erheblich verstärkte.

Militärausgaben

Militärausgaben © Le monde diplomatique

Teherans Einfluss

Allerdings hatte Teheran schon vorher seinen Einfluss durch die Unterstützung schiitischer Bevölkerungsgruppen und Organisationen in verschiedenen arabischen Staaten geltend gemacht. Dazu zählt zuallererst die libanesische Hisbollah, die mit Unterstützung Irans als Antwort auf die israelische Invasion in den Libanon 1982 gegründet worden war. Einige Jahre konnte sich Teheran so als Speerspitze der »Achse des Widerstands« (zusammen mit Syrien, Hisbollah, Hamas) gegen Israel generieren und Sympathien auch unter sunnitischen Arabern gewinnen, zum Beispiel während des Kriegs 2006 zwischen der Hisbollah und Israel, der für Tel Aviv in einem mittleren Desaster endete, weil die Hisbollah gestärkt daraus hervorging.

Beginn des Krieges

Doch spätestens seit Beginn des Kriegs in Syrien 2011 wurde deutlich, dass der Iran und seine Verbündeten mitnichten nur den Erzfeind Israel im Auge haben, sondern für die Durchsetzung ihrer realpolitischen Interessen auch bereit sind, ein Regime zu unterstützen, das Krieg gegen die eigene (und vor allem die sunnitische) Bevölkerung führt.

Mittlerweile hat der iranisch-saudische Konflikt den israelisch-arabischen als zentralen Konflikt in der Region abgelöst. Dies zeigt sich nicht nur in Syrien, wo das Assad-Regime mit Unterstützung Irans (und Russlands) gegen die teils von Saudi-Arabien und anderen Golfmonarchien, aber auch vom Westen unterstützten Rebellen die Oberhand gewonnen hat. Auch im Jemen liefern sich Riad und Teheran einen Stellvertreterkrieg: Seit 2015 führt Saudi-Arabien einen brutalen Krieg gegen die von Iran unterstützen Huthis, unter dem – genauso wie in Syrien – zuallererst die Zivilbevölkerung zu leiden hat. Und auch mit der Isolation des kleinen Golfstaats Katar im Sommer 2017 zielte Saudi-Arabien zuallererst auf Iran. Riad warf seinem Nachbarstaat vor, Terrorgruppen in der Region zu unterstützen, und verlangte vom Emirat, die diplomatischen Beziehungen zu Teheran herunterzufahren.

Die iranisch-saudische Rivalität wird auch im Libanon ausgetragen. Dort hat die von Iran unterstütze Hisbollah, die schon seit 1992 in der libanesischen Nationalversammlung vertreten ist, in den letzten Jahren politisch immer mehr Einfluss gewonnen. Im November 2017 versuchten die Saudis diese Entwicklung zurückzudrehen, indem sie den sunnitischen Premierminister Saad al-Hariri bei einem Besuch in Riad dazu zwangen, seinen Rücktritt zu erklären. Riad wollte so die damalige libanesische Regierung der nationalen Einheit, an der auch die Hisbollah beteiligt war, zu Fall bringen und damit die Rivalität zwischen den proiranischen und den prosaudischen Kräften im Libanon wieder verschärfen.

Grundsätzlich geht es beim iranisch-saudischen Konflikt weniger um Religion als um profane machtpolitische Interessen – und damit vor allem um die Vormachtstellung in der Region. Allerdings setzen beide Seiten Religion als Instrument der Mobilisierung ein, was den konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten gefährlich angeheizt hat. Bestes Beispiel dafür ist die Entwicklung im Irak seit 2003 und der Aufstieg des sogenannten Islamischen Staats (IS).

Saudi-Arabien reagierte auf die iranische Expansion, indem es unter anderem seine eigene reaktionäre Staatsreligion, den Wahhabismus, noch stärker verbreitete. Der Wahhabismus betrachtet die schiitischen Muslime als Ketzer. Für die dschihadistischen Ideologien von al-Qaida und IS wurde er zu einer wichtigen Quelle; zudem kämpfen viele saudische Staatsbürger in den Reihen der beiden Terrororganisationen. Zwar geriert sich Riad stets als vehementer Gegner des sunnitisch-islamistischen Terrors, doch viele konservative Kleriker im Land hegen nach wie vor Sympathien für den Dschihad, schon weil ihrer Meinung nach vom schiitischen Regime in Iran die weit größeren Gefahren ausgehen.

Zivile Todesopfer im syrischen Bürgerkrieg 2018

Zivile Todesopfer im syrischen Bürgerkrieg 2018 © Le monde diplomatique

Interventionen

Mindestens ebenso wichtig für die Entstehung des salafistisch-dschihadistischen Terrorismus waren jedoch die verschiedenen Interventionen in der Region, von der Jahrzehnte währenden westlichen Unterstützung für autoritäre arabische Regime über die russische Invasion in Afghanistan in den 1980er Jahren bis zum Irakkrieg der USA von 2003. Selbst die den westlich-imperialen Interessen folgende Aufteilung der Levante in Nationalstaaten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs spielte dabei eine Rolle: So war ein zentraler Bestandteil der IS-Ideologie die Wiederherstellung des alten »Bilad as-Scham«, wie die Levante von den islamischen Eroberern im 7. Jahrhundert genannt wurde.

In dieser Hinsicht gleicht der IS der einst einflussreichsten antiimperialistischen Ideologie in der Region, dem Panarabismus. Der war bis zur arabischen Niederlage im Krieg von 1967 gegen Israel die maßgebliche Strömung, die sich gegen Einflüsse von außen stellte und für die arabische Einigung eintrat – wenngleich mit einer säkularen, sozialistisch inspirierten Ideologie.

Heute ist es vor allem der Krieg in Syrien, in dem sich die Konfliktlinien bündeln, was eine politische Lösung umso schwieriger macht. Dabei wird gelegentlich vergessen, dass am Beginn dieses Konflikts – bevor das Land zum Schauplatz eines »kleinen Weltkriegs« wurde, in dem zahlreiche regionale und globale Akteure mitmischen – Proteste gegen die Regierung standen, wie es sie auch in Tunesien oder Ägypten gab. Hafis al-Assad, der 1970 die Macht in Damaskus ergriff, errichtete unter dem Deckmantel des arabischen Nationalismus einen autokratischen Staatsapparat und nutzte seine klientelistischen und konfessionellen Netzwerke, um seine Macht zu stabilisieren und den Großteil der Bevölkerung in Armut und Unfreiheit zu halten. Als sein Sohn Baschar 2000 das Präsidentenamt übernahm, war die Hoffnung auf eine positive Veränderung groß. Doch bereits 2001 setzte der neue Präsident dem Damaszener Frühling mit einer Verhaftungswelle ein Ende.

Zehn Jahre später war das syrische Regime nicht in der Lage, auf die Forderungen einer jungen, vergleichsweise gut ausgebildeten Bevölkerung einzugehen, die unter Arbeitslosigkeit, einer dysfunktionalen Wirtschaft und der Repression durch den Geheimdienstapparat litt. Statt Reformen durchzuführen, entschloss sich Assad im Frühjahr 2011, die zunächst friedlichen Proteste mit brutalster Gewalt niederzuschlagen, was zu einer raschen Militarisierung der Aufständischen führte. Gleichzeitig spielte er die religiöse Karte, um die alawitische und andere religiöse Minderheiten des Landes um sich zu scharen. Ziel dieser Vorgehensweise war es, die Aufständischen ausnahmslos als sunnitische Radikale und Terroristen zu brandmarken, die allen »Ungläubigen« nach dem Leben trachteten – und die folglich, um des eigenen Überlebens willen, ausgelöscht werden mussten.

Der anfangs interne Konflikt zwischen dem Assad-Regime und den Aufständischen wurde sehr schnell vom saudisch-iranischen Konflikt überlagert. Riad betrachtete den drohenden Sturz des Assad-Regimes als Möglichkeit, den Einfluss Irans zurückzudrängen und arbeitete, indem es die Gegner Assads unterstützte, auf einen Regimewechsel hin. Teheran hingegen griff bereits ab Frühjahr 2011 dem Assad-Regime unter die Arme – durch die Entsendung von Militärausbildern und Ausrüstung sowie den Aufbau schiitischer Milizen mit tausenden Kämpfern aus unterschiedlichen Ländern der Region. Insbesondere die Entsendung von Einheiten der von Iran finanzierten libanesischen Hisbollah nach Syrien war für das Assad-Regime in den ersten Jahren des Konflikts überlebenswichtig. 

Neben der Hilfe aus Teheran war es vor allem die Intervention Russlands ab Herbst 2015, die das Assad-Regime vor dem Zusammenbruch bewahrte. Moskau betonte stets, dass die russischen Luftschläge auf syrischem Territorium ausschließlich der Bekämpfung »terroristischer« Gruppen dienten. Doch in Wahrheit richteten sich die Angriffe gegen alle Gruppierungen, die eine Bedrohung für das Assad-Regime darstellten, unabhängig davon, ob sie einer radikalen islamistischen Ideologie anhingen.

Verglichen mit der Unterstützung, die das Assad-Regime von regionalen und globalen Akteuren erhielt, fiel die internationale Hilfe für die Opposition gering aus: Die USA stellten ihr 2014 aufgelegtes geheimes Programm zur Unterstützung ausgewählter Rebellengruppen im Sommer 2017 ein. Spätestens seit dem Aufstieg des IS und seinen militärischen Erfolgen in Syrien und im Irak im Sommer 2014 stand für Washington nicht der Sturz des Assad-Regimes, sondern die Bekämpfung des IS im Vordergrund. Um dieses Ziel zu erreichen, flogen die USA nicht nur selbst Angriffe gegen IS-Stellungen in Syrien, sondern unterstützten ab 2015 auch die kurdisch dominierten »Demokratischen Kräfte Syriens«, die mittlerweile einen großen Teil im Nordosten des Landes kontrollieren.

Die Situation heute

Heute ist Syrien ein zersplittertes Land, aufgeteilt in unterschiedliche, teils von auswärtigen Akteuren kontrollierte Einflusszonen. Auch die vermeintlich stabilen, vom Regime kontrollierten Gebiete werden zunehmend von lokalen, mit dem Regime verbündeten Warlords dominiert, die sich ihren Teil des geschundenen Landes unter den Nagel reißen und die Bevölkerung terrorisieren. Ein nachhaltiger Frieden in Syrien liegt in weiter Ferne – und er wird nur möglich sein, wenn sich auch die beschriebenen regionalen Konflikte entschärfen lassen.

Autor: Jakob Farah ist freier Journalist und Redakteur der deutschen Ausgabe von Le Monde diplomatique.

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