Exportgut Arbeitskraft

Zehn Prozent der philippinischen Bevölkerung verdienen ihr Geld in der Ferne.

Die Philippinen spielen im globalen Handel keine große Rolle, aber einen Exportschlager haben sie zu bieten: ihre arbeitsfähige und Englisch sprechende Bevölkerung. Filipinos singen in den Kasinos von Macau, bauen Stadien für die Fußball-WM in Katar, fahren Trucks in Iran, putzen die Häuser reicher Araber oder befahren die Weltmeere als Seeleute. Filipinos waren bereits Global Citizens, bevor der Ausdruck erfunden wurde.

Seit vielen Jahren sind es um die 10 Prozent der Gesamtbevölkerung, die in der Ferne Geld verdienen. Eine erste Auswandererwelle landete Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Plantagen Hawaiis. Während der Regierungszeit des Diktators Ferdinand Marcos in den 1970er Jahren bot der Bauboom im Nahen Osten einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. Der Aufstieg ost- und südostasiatischer Schwellenländer ab den 1980er Jahren lud weitere philippinische Arbeitsmigranten ein. Die Asienkrise in den 1990er Jahren machte die Diaspora der zu Hause salopp OFW (Overseas Filipino Workers) genannten Gastarbeiter dann endgültig zu einem Dauerzustand.

Philippinische Emigranten

Philippinische Emigranten © Le monde diplomatique

Gründe für die Arbeitsmigration

Für die Arbeitsmigration in solch enormen Ausmaß gibt es mehrere Ursachen, die eng miteinander verknüpft sind: Hohes Bevölkerungswachstum und zu wenige Jobs führen dazu, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung nach Angaben der Asiatischen Entwicklungsbank unterhalb der Armutsgrenze lebt. In den ausufernden Slums der Großstädte hausen Millionen Familien in erbärmlichen Unterkünften, in der Regel ohne Zugang zu Wasser oder Strom. Die Landbevölkerung ernährt sich so gut es geht von Fischfang und mickrigem Gemüseanbau. Reich ist das Land indes an Kindern – sie gelten den katholischen Filipinos nicht nur als Segen Gottes, sondern auch als Altersversicherung.

Anders als Deutschland, Japan oder China hat der Inselstaat folglich auch kein Problem mit Überalterung. Im Gegenteil: 45 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 24 Jahre, weitere 40 Prozent jünger als 55. Doch wohin mit den Millionen an arbeitsfähigen Menschen? Auf den Philippinen werden sie schwer fündig, und wenn doch, dann sind es häufig lausig bezahlte Tätigkeiten: als Verkäufer im Warenhaus, als Servicekraft in einer Fastfoodkette oder als Arbeiter auf dem Bau. Keiner dieser Jobs ist von Dauer, viele Verträge enden nach einem halben Jahr. Wer verlängern will, muss mitunter Einschnitte akzeptieren. So beginnt die Arbeitssuche oft von Neuem – ein Kreislauf, den die Politik seit Jahren zu beenden verspricht. Auch Präsident Rodrigo Duterte tönte im Wahlkampf 2016: »Ich werde euch nach Hause bringen! Wenn ihr mich wählt, werde ich ausreichend Jobs für alle schaffen!« Wie alle seine Vorgänger hat Duterte sein Versprechen nicht gehalten.

Ein stetiger Geldfluss

An jedem Werktag spielen sich in der für OFW zuständigen Behörde POEA (Philippine Overseas Employment Administration) in Manila dieselben Szenen ab. Wenn sie um 8 Uhr öffnet, drängeln sich hunderte Bewerber in die stickige Halle, stehen in langen Schlangen an verschiedenen Schaltern und warten geduldig auf unbequemen Plastikstühlen, bis sie die notwendigen Papiere für eine Beschäftigung im Ausland zusammenhaben. Tausende Filipinos verlassen täglich ihre Heimat, am internationalen Flughafen von Manila steigen sie in Flieger nach Abu Dhabi, Riad, Singapur oder Hongkong. Wer Glück hatte, hält ein Ticket in die USA, nach Australien oder Europa in der Hand, wo die Bedingungen besser und die Löhne höher sind.

Der Abschied von Familie und Freunden ist oft einer auf Jahre. Die in der Heimat als »neue Helden« gefeierten OFW sparen sich in der Fremde jeden Dollar vom Mund ab, oft wird mehr als die Hälfte des Verdienstes nach Hause überwiesen, damit die Kinder oder die jüngeren Geschwister zur Schule gehen können oder das von einem Taifun beschädigte Haus wiederaufgebaut werden kann. Die Summen, die die Arbeitsmigranten auf die Philippinen transferieren, sind enorm. Jahr für Jahr werden neue Rekord zahlen genannt, 2017 waren es knapp 33 Milliarden US-Dollar. Ohne diesen steten Geldfluss stünde es um die Philippinen deutlich schlechter. Denn es sind nicht nur Millionen philippinische Familien, die abhängig sind von dem Geldsegen. Die ständig wachsende Konsumfreude, die die Wirtschaft ankurbelt, gäbe es ohne die Milliarden der OFW nicht.

Gefährliche Arbeit

Auf absehbare Zeit wird es so weitergehen, denn der auswärtige Bedarf an philippinischen Arbeitskräften ist gewachsen. Kreuzfahrtschiffe und Tanker könnten ohne philippinische Seeleute längst nicht mehr ablegen. Industriestaaten wollen die gut Ausgebildeten, die auf den Philippinen dann fehlen: Deutschland und Irland heuern Pflegepersonal an, die USA brauchen Lehrer, Australien holt Facharbeiter. Vor allem aber die Golfstaaten sind erpicht auf die an harte Arbeit gewöhnten Filipinos. Mehrere Millionen OFW sind dort beschäftigt, weit mehr als eine Million allein in Saudi-Arabien. Dabei sind gerade diese Länder berüchtigt dafür, fremde Arbeitskräfte auszunutzen. Berichte von 18-Stunden-Tagen, Schlägen, Nahrungsentzug oder sexueller Belästigung finden sich regelmäßig in den philippinischen Medien. Gewaltexzesse bis hin zu Mord zeigen, wie gefährlich das Arbeitsumfeld gerade für Filipinas ist. Doch die Ärmsten und Unerfahrensten haben schlicht keine andere Wahl, in Singapur oder Tokio würden sie keinen Job bekommen.

Der Exodus arbeitsuchender Filipinos hat noch andere Schattenseiten. Viele Kinder wachsen ohne Eltern auf, weil die im Ausland malochen. Ehen zerbrechen, weil ein Partner jahrelang nicht nach Hause kommt. Ältere Geschwister müssen sich dem Druck beugen und zum Wohl ihrer Familie einen Job im Ausland annehmen. Das Sozialgefüge der Philippinen, in dem die Großfamilie die zentrale Säule ist, bekommt zusehends Risse. Viele Filipinos bedauern das, doch der Dauerzustand, dass ein gutes Zehntel der Bevölkerung im Ausland arbeiten muss, wird als notwendiges Übel empfunden.

Migranten aus asiatischen Ländern 2017

Migranten aus asiatischen Ländern 2017 © Le monde diplomatique

Institutionen für OFW

Unbeeindruckt davon, unterstützt der Staat die Entsendung von Arbeitskräften ins Ausland weiter: Neben der POEA gibt es eine spezielle Sozialbehörde und, ganz wichtig, die Aus- und Weiterbildungsagentur Tesda (Technical Education and Skills Development Authority). Tesda hat landesweit um die 60 Trainingscenter und bietet mehr als 200 Kurse an, oft in Kooperation mit Partnern aus der Industrie oder auf bilateraler Ebene. In den stark subventionierten Lehrgängen lernen künftige OFW zu schweißen, zu nähen, Kfzs zu reparieren, Mahlzeiten zu servieren oder einen Haushalt zu führen.
Sogar ein eigens auf Arbeitsmigranten zugeschnittenes Bankinstitut gibt es. Die 2018 eröffnete Overseas Filipino Bank soll vor allem den Transfer der Rücküberweisungen erleichtern. In Ländern mit einer großen Zahl von OFW werden in philippinischen Botschaften Repräsentanzen dieser Bank geschaffen.

Mehr als 1500 lizenzierte Agenturen vermitteln ihren Landsleuten gegen Zahlung einiger hundert Euro einen Job im Ausland. Ungezählt sind die Betrüger und Ausbeuter, denen vor allem Bewerber aus den ärmsten Provinzen des Landes auf den Leim gehen. Oft genug ist das mühsam zusammengekratzte Geld verloren, oder hinter der Stelle als Haushaltshilfe verbirgt sich ein Puff. Die Regierung warnt zwar immer wieder vor den Machenschaften krimineller Vermittler. Und öffentliche Kritik kocht immer hoch, wenn es einen besonders schweren Missbrauchsfall gibt oder wenn OFW aus Krisengebieten gerettet werden müssen. Dann und natürlich vor Wahlen greifen auch Politiker das Thema auf. Kurze Zeit später herrscht aber wieder business as usual. Zu abhängig sind die Philippinen von den Devisen, die die »neuen Helden« nach Hause schicken. Zu bequem und billig ist es, auf eingefahrenen Wegen zu bleiben, statt sich ernsthaft darum zu bemühen, ausreichend Jobs zu schaffen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Philippinen in Sachen »Exportgut Arbeitskraft« Weltspitze bleiben werden.

Rücküberweisungen asiatischer Emigranten 2017

Rücküberweisungen asiatischer Emigranten 2017 © Le monde diplomatique

Autor: Hilja Müller lebt seit 2002 in Asien und berichtet als freie Journalistin und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter von den Philippinen, aus Japan und China.

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