Die Welt wird Stadt

Hohe Geburtenraten und Perspektivlosigkeit auf dem Land treiben die Urbanisierung voran

Weltweit strömen die Menschen in die Städte. 2007 gab es erstmals in der Menschheitsgeschichte mehr Städter als Landbewohner. Keine 50 Jahre zuvor lebten noch zwei von drei Menschen auf dem Land. Und die Urbanisierung schreitet beharrlich voran. Heute beherbergen die Städte schon rund 55 Prozent der Weltbevölkerung. Besonders hoch ist der Anteil der urbanen Bevölkerung in Nordamerika, in Lateinamerika und in Europa. In Afrika hingegen leben zwar die meisten Menschen noch auf dem Land, doch 2035 werden auch hier die Städter in der Überzahl sein. Zur Mitte des Jahrhunderts werden voraussicht lich 59 Prozent der Afrikaner in urbanen Ballungsräumen leben.

Bis 2050 dürfte zudem die Weltbevölkerung um weitere 2,1 Milliarden auf dann rund 9,8 Milliarden Menschen wachsen. Es werden vor allem Städte sein, die das Mehr an Menschen beherbergen müssen. Neben Ozeanien ist Afrika die einzige Weltregion, in der sowohl die Land- wie auch die Stadtbevölkerung in absoluten Zahlen wächst. Global gesehen nimmt hingegen bis zur Mitte des Jahrhunderts die Zahl der Landbewohner um rund 300 Millionen auf dann 3,1 Milliarden Menschen ab. Im Gegensatz dazu wächst die Stadtbevölkerung um über 2,4 Milliarden auf dann rund 6,7 Milliarden Menschen. Mehr als ein Drittel des weltweiten urbanen Wachstums entfällt auf nur drei Staaten. In Indien müssen die Ballungsräume bis 2050 weitere 416 Millionen Menschen aufnehmen, in China 255 Millionen und in Nigeria 189 Millionen.

Stadtbevölkerung nach Größe der Städte

Stadtbevölkerung nach Größe der Städte © Le monde diplomatique

Urbanisierung in Entwicklungsländern

Während die urbanen Zentren in den frühentwickelten Ländern nur noch langsam wachsen, fordert die schnell voranschreitende Verstädterung, gepaart mit dem anhaltenden hohen Bevölkerungswachstum, vor allem die Schwellen- und Entwicklungsländer heraus. Rund neun von zehn Stadtbewohnern, die bis 2050 weltweit hinzukommen, werden in Afrika oder Asien leben. Besonders Subsahara-Afrika steht vor einem explosionsartigen Städtewachstum. Bis 2050 wird sich hier die Zahl der Städter fast verdreifachen – von aktuell 424 Millionen auf 1,26 Milliarden Menschen.

Vor rund 70 Jahren zählte keine afrikanische Stadt südlich der Sahara mehr als 1 Million Einwohner, heute sind es bereits über 53. Auch weltweit ist die Zahl der Millionenstädte rasant gestiegen – von 76 im Jahr 1950 auf aktuell 548. Davon zählen 33 zu den sogenannten Megastädten mit mehr als 10 Millionen Einwohnern. Und die Zeichen stehen weiter auf Wachstum. Weltweit kommen bis 2030 weitere zehn Megastädte hinzu und die Zahl der Millionenstädte dürfte auf über 700 anwachsen.

Vor allem in Asien sind riesige Ballungszentren entstanden. Zwischen Istanbul in der Türkei und der japanischen Megacity Tokio überschreiten noch weitere 17 Städte auf dem bevölkerungsreichsten Kontinent die 10-Millionen-Einwohner-Marke. Mit Tokio (37,5 Millionen), Delhi (28,5 Millionen) und Schanghai (25,6 Millionen) liegen auch die größten Ballungsräume der Welt in Asien. Doch während für Tokio die Zeiten des Wachstums vorbei zu sein scheinen und die Bevölkerung bis 2030 um etwas mehr als 2 Prozent abnehmen wird, setzt Delhi zum Sprung an die Spitze an. Die Stadt im Norden Indiens wächst bis 2030 um weitere 10,4 Millionen Einwohner und wird dann mit knapp 39 Millionen Einwohnern die größte der Welt sein.

Gründe für die Verstädterung

Die Städte wachsen, weil die Perspektivlosigkeit auf dem Land viele Menschen in die urbanen Zentren treibt. So sind die meisten afrikanischen Kleinbauern südlich der Sahara arm und bewirtschaften oft nur wenige Hektar große Flächen – wie etwa in den drei Dörfern Tingoli, Botingli und Kpalung in der Northern Region Ghanas. Rund 80 Kleinbauern sind hier zu Hause. Auf ihren Feldern wächst neben ein paar Kochbananenstauden und Mangobäumen hauptsächlich Mais. Fast alle Bauern halten ein paar Hühner, einige wenige bessergestellte auch Ziegen, Schafe und Rinder. Größtenteils versorgen sich die Bauern selbst. Nur wenn Überschüsse anfallen, können sie mit deren Verkauf etwas die Haushaltskasse aufbessern. Eine Verarbeitung der Feldfrüchte oder von Milch und Fleisch zu markttauglichen Lebensmitteln, die mehr Einkommen und Jobs schaffen könnte, fehlt bisher weitgehend. Die Landwirtschaft bietet also kaum Arbeitsplätze für die schnell wachsende Zahl an jungen Landbewohnern, die ihr Glück daher in den urbanen Zentren suchen.

Noch bedeutsamer für das Wachstum der Städte ist aber der hohe Geburtenüberschuss. Obwohl die Menschen in Städten weniger Nachwuchs haben als auf dem Land, sind viele von ihnen im klassischen Familiengründungsalter, und so ist die Zahl der Geburten hoch. Rund 60 Prozent der Urbanisierung in den Entwicklungs- und Schwellenländern geht darauf zurück, dass in den Städten mehr Kinder geboren werden, als Menschen sterben. Als dritter, wenn auch weniger starker Treiber der Urbanisierung kommt hinzu, dass viele Dörfer mit der Zeit zu Städten heranwachsen und so ihre Bewohner ohne umzuziehen Städter werden.

Die Entwicklungs- und Schwellenländer stehen vor der großen Herausforderung, in kürzester Zeit Wohnungen, Infrastrukturen, Bildungsangebote und Arbeitsplätze für die rasant wachsende und überwiegend junge Stadtbevölkerung zu schaffen. Denn anders als in den Industrieländern, die zwischen 1750 und 1950 die heiße Phase der Verstädterung erlebten und damit rund zwei Jahrhunderte Zeit hatten, diesen Prozess zu gestalten, vollzieht sich die Urbanisierung in den heutigen Entwicklungs- und Schwellenländern wie im Zeitraffer. Viele Städte wuchern regelrecht. So finden etwa zwei Drittel des städtischen Bevölkerungswachstums in Afrika in Slums statt. Hier leben die Menschen meist in selbst errichteten Hütten, häufig ohne Wasser- und Stromanschluss, sanitäre Einrichtungen und befestigte Straßen. Armut, Kriminalität und Umweltprobleme gehören in diesen Vierteln zum Alltag – zum Beispiel in Kibera. Das Armutsviertel im Südwesten Nairobis galt mit geschätzten 1 Million Bewohnern lange als größter Slum Afrikas. Nach einem Zensus von 2009 wurde die Zahl zwar auf rund 170.000 Einwohner nach unten korrigiert, dennoch lebt mehr als jeder zweite Stadtbewohner in Kenia in einem Slum.

Trotz aller Probleme eröffnet die Urbanisierung den Menschen in ärmeren Ländern die Chance auf einen höheren Lebensstandard. Denn bei guter Planung lassen sich medizinische Versorgung, Schulen und andere öffentliche Dienstleistungen in Städten einfacher und kostengünstiger organisieren als auf dem Land – die Wege sind kürzer und mehr Menschen fragen die Leistungen nach. Auch wirtschaftlich könnte sich die Urbanisierung auszahlen: In Zeiten der Wissensgesellschaften und der Globalisierung sind die urbanen Zentren Kreativzonen, in denen aus Ideen Innovationen und neue Jobs entstehen. Mit der Urbanisierung wächst aus genau diesem Grund seit jeher auch der Wohlstand.

Bevölkerungszahlen

Bevölkerungszahlen © Le monde diplomatique

Neuer Wohlstand?

Ob die Städte in den Entwicklungsländern in Zukunft als Wohlstandsmotoren wirken, ist angesichts der aktuellen Dynamik allerdings fraglich. In einigen Regionen Subsahara-Afrikas bleibt der positive Effekt der Verstädterung bislang jedenfalls weitgehend aus. Anders als zuvor in den Industriestaaten entstehen mit der Urbanisierung kaum neue Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe. Vielmehr wächst der informelle Dienstleistungssektor, mehrheitlich mit Jobs für gering Qualifizierte. Vor allem in Ländern, wo eine kleine Schicht der Bevölkerung durch den Verkauf von Rohstoffen reich geworden ist, wächst zwar die Nachfrage nach Edelrestaurants oder Luxusgütern, aber das Geld fließt kaum in den Aufbau von Unternehmen der verarbeitenden Industrie, welche einerseits die Güter für die wachsende Bevölkerung produzieren und andererseits für die notwendigen Jobs sorgen könnten. Diese Städte bleiben reine Konsumstädte und tragen wenig zum Wirtschaftswachstum bei.

Die 30 größten Städte

Die 30 größten Städte © Le monde diplomatique

Autor: Manuel Slupina ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

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