Vom frühen Tod zum langen Leben

Die vier Phasen des demografischen Übergangs

Früher hatten die Menschen überall auf der Welt viele Kinder. Da die Lebensbedingungen schwierig waren, starben auch viele Menschen, vor allem in jungen Jahren. Die Bevölkerung wuchs kaum oder gar nicht. Dies war die Phase 1 des sogenannten demografischen Übergangs. Erst als sich ab etwa 1750 die Lebensumstände verbesserten, durch Fortschritte in der Landwirtschaft und bei der medizinischen Versorgung, sanken in Phase 2 zunächst die Sterberaten. Dadurch kam es zu einem starken Wachstum der Bevölkerung. Zeitversetzt sanken – bedingt durch bessere Bildung, wirtschaftliche Entwicklung und neue Perspektiven für eine individuellere Lebensplanung – in Phase 3 die Geburtenraten. Das Bevölkerungswachstum verlangsamte sich und schlug in Phase 4 in einzelnen Ländern bereits in ein Schrumpfen um.

Je nach Rahmenbedingungen dauern die einzelnen Phasen des demografischen Übergangs unterschiedlich lange. Die Industrienationen durchliefen die Phasen 1 bis 3 in den letzten 200 bis 300 Jahren. In »Tigerstaaten« wie in Südkorea, Singapur, Taiwan, aber auch in China hat der demografische Übergang später begonnen, dafür aber nur einige Jahrzehnte benötigt. Andere Länder, insbesondere in der Region Subsahara-Afrika, befinden sich erst in Phase 2 – hier sind die Geburtenraten bisher kaum gesunken. Wie schnell sich der demografische Übergang in einem Land oder einer Region vollzieht, hängt nicht zuletzt von (entwicklungs-)politischen Maßnahmen ab.

In Phase 2 des demografischen Übergangs sinken die Sterberaten, nicht weil die Menschen Lebensjahre im höheren Alter hinzugewinnen, sondern weil die Säuglings- und Kindersterblichkeit zurückgeht. Erste Erfolge lassen sich hier durch eine bessere Wasserversorgung, Ernährungssicherheit, Impfkampagnen und eine rudimentäre medizinische Betreuung vergleichsweise leicht erzielen. Diese Entwicklungs-»Hilfe« lässt die Lebenserwartung deutlich steigen und ist die Basis für ein starkes Bevölkerungswachstum mit vielen Kindern und Jugendlichen, die von den Erwachsenen versorgt werden müssen. Empirisch gesehen bedingen sich hohes Bevölkerungswachstum und niedriger Entwicklungsstand gegenseitig: Bisher hat sich kein Land sozioökonomisch entwickelt, ohne dass parallel dazu die Geburtenrate zurückgegangen ist. Daher muss der »Hilfe« möglichst schnell eine selbsttragende »Entwicklung« folgen, die die nächste Phase des demografischen Übergangs einläutet.

Mit dem Sinken der Geburtenziffern in Phase 3 wandert der hohe Anteil an jungen Menschen allmählich in die nächste Altersgruppe, die der jungen Erwerbsfähigen. Dies eröffnet die Aussicht auf einen Entwicklungsschub, eine sogenannte demografische Dividende: Finden diese Menschen eine Beschäftigung, können sie für vier bis fünf Jahrzehnte die Wirtschaft voranbringen.

Kindersterblichkeit und Fertilität hängen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig: In Regionen mit hoher Kindersterblichkeit liegen die Kinderzahlen je Frau generell sehr hoch. Eltern, die im Alter auf ihre Kinder angewiesen sind, versuchen so das Risiko der hohen Verluste zu verringern. Sinkt die Kindersterblichkeit, sinkt mit zeitlichem Abstand auch die Fertilitätsrate. Umgekehrt verbessert sich bei weniger Geburten die Gesundheit von Mutter und Kind. So geht durch sinkende Fertilität auch die Kindersterblichkeit weiter zurück.

Teilweise werden Mortalität und Fertilität unmittelbar von denselben Faktoren beeinflusst. Sind zum Beispiel Verhütungsmittel verfügbar, reduziert das die Säuglingssterblichkeit, weil Frauen so die Abstände zwischen Geburten zuverlässig planen können. Wenn zwischen Schwangerschaften mindestens zwei Jahre liegen, verdoppelt sich die Überlebenschance des zweiten Kindes. Auch beim Fertilitätsrückgang spielen Verhütungsmittel eine wesentliche Rolle: 2017 hatten in den Entwicklungsländern 214 Millionen Frauen, die eine Schwangerschaft vermeiden wollten, keinen Zugang zu modernen Mitteln der Familienplanung.

Geburten-/ Sterberate

Geburten-/ Sterberate © Le monde diplomatique

Das demografische Phasenmodell

Alle Länder durchlaufen im Zuge ihrer sozioökonomischen Entwicklung den demografischen Übergang. In Phase 1 liegen sowohl Sterbe- als auch Geburtenrate auf hohem Niveau, die Bevölkerung wächst kaum. In Phase 2 sinkt durch verbesserte Lebensbedingungen die Sterberate, insbesondere von Kindern – die Bevölkerung wächst stark. In der Folge sinkt in Phase 3 die Geburtenrate. In Phase 4 pendeln sich Geburten- und Sterberate auf einem niedrigeren Niveau ein, das Bevölkerungswachstum kommt zum Erliegen. Wenn die Bevölkerung schrumpft, wie etwa in Japan, setzen manche Demografen eine 5. Phase an.

Faktor Bildung

Ein weiterer Faktor mit doppelter Wirkung ist Bildung. Wer lesen und schreiben kann, weiß in der Regel besser über Krankheitsprävention und Hygiene Bescheid. Laut Weltbildungsbericht 2011 würden in Subsahara-Afrika jedes Jahr 1,8 Millionen Kinder weniger sterben, wenn die Kindersterblichkeit auf einen Wert sinken würde, wie er bei Kindern, deren Mütter eine weiterführende Schule besucht haben, üblich ist. Bildung wirkt sich auch auf das Reproduktionsverhalten aus: Frauen, die über die Grundschule hinaus eine weiterführende Schule besucht haben, bekommen später, in größeren Abständen und deutlich weniger Kinder. Darüber hinaus gibt es Maßnahmen, die in erster Linie die Fertilität beeinflussen, etwa gezielte Kampagnen für die Altersversorgung.

Zusammengefasste Geburtenziffer 2016

Zusammengefasste Geburtenziffer 2016 © Le monde diplomatique

Phase 4 des demografischen Übergangs

Wenn die Geburtenziffer im Laufe des demografischen Übergangs auf das bestandserhaltende Niveau von 2,1 Kindern pro Frau gesunken ist, endet mittelfristig das natürliche Bevölkerungswachstum, also das Wachstum ohne Zuwanderung von außen. Phase 4 des demografischen Übergangs ist erreicht. Sinkt die Geburtenrate unter die Sterberate, schrumpft die Einwohnerschaft, sofern der Verlust an einheimischer Bevölkerung nicht durch Zuzug von außen ausgeglichen wird. Dies ist bereits in weiten Teilen Europas und in Japan der Fall und geht einher mit einer Alterung der Gesellschaft. Die kinderreichen Jahrgänge der Vergangenheit werden zu altenreichen Jahrgängen der Gegenwart und Zukunft, denen wegen der gesunkenen Fertilität relativ wenige junge Menschen gegenüberstehen. Dabei steigt der Anteil älterer Menschen umso sprunghafter an, je schneller zuvor die Fertilitätsraten gesunken sind. In Schwellen- und Entwicklungsländern altern die Gesellschaften zwar später, dafür aber deutlich schneller als in Europa. So hat es in Frankreich 115 Jahre gedauert, bis sich der Anteil der über 60-Jährigen von 7 auf 14 Prozent verdoppelt hat – Thailand benötigte für die gleiche Entwicklung nur 20 Jahre. Da die Alterung eine unausweichliche Folge des demografischen Übergangs ist, sind Länder gut beraten, schon frühzeitig Systeme aufzubauen, die die Altersversorgung der letzten geburtenstarken Jahrgänge absichern. 

Sterberate 1950-1955

Sterberate 1950-1955 © Le monde diplomatique

Sterberate 2010-2015

Sterberate 2010-2015 © Le monde diplomatique

Autorin:

Tanja Kiziakist stellvertretende Geschäftsführerin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

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