Der Faktor Kind

In vielen Ländern südlich der Sahara bedeutet Nachwuchs immer noch soziale Absicherung

Mit rund 1,3 Milliarden Einwohnern leben auf dem gesamten afrikanischen Kontinent heute fast so viele Menschen wie in China, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt. Angesichts seiner enormen Fläche ist Afrika im Vergleich zu Asien dünn besiedelt. Das wird sich ändern, denn die afrikanische Bevölkerung wächst – und zwar rasant. Bis zur Mitte des Jahrhunderts dürfte die Hälfte des weltweiten Bevölkerungszuwachses auf Afrika entfallen – der größte Teil davon in den Ländern südlich der Sahara.

Geburtenziffer in verschiedenen Ländern

Geburtenziffer in verschiedenen Ländern © Le monde diplomatique

Verdopplung der Einwohnerzahl

Auch im Jahr 2050 wird die Mehrheit aller Menschen in Asien leben, doch im Vergleich zur heutigen Bevölkerung wird der dortige Zuwachs verhältnismäßig gering ausfallen. Auf dem afrikanischen Kontinent wird sich dagegen in etwa der Hälfte der 54 Staaten die Einwohnerzahl bis zur Mitte des Jahrhunderts verdoppeln, in einigen ist sogar mit einem Anstieg um den Faktor 2,5 und mehr zu rechnen. Bis 2050 werden mit Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo und Äthiopien wohl drei afrikanische Länder in die Top Ten der bevölkerungsreichsten Länder der Welt aufgestiegen sein.

Der Hauptgrund für das rasante Bevölkerungswachstum in Afrika sind die anhaltend hohen Kinderzahlen. Während Frauen in Ländern wie China und Indien heute im Schnitt nur noch 1,6 respektive 2,3 Kinder zur Welt bringen, liegt die durchschnittliche Nachwuchszahl in den afrikanischen Ländern mit 4,4 Kindern pro Frau etwa doppelt so hoch. Gleichzeitig überleben Kinder immer häufiger, da sich die Gesundheitsversorgung auf dem afrikanischen Kontinent in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat. In Niger, einem der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder weltweit, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind seinen fünften Geburtstag erlebt, heute mehr als doppelt so hoch wie noch 1960. Mit einer durchschnittlichen Kinderzahl von 7,2 bringen nigrische Frauen heute allerdings noch etwa genauso viele Kinder zur Welt wie vor 60 Jahren.

Hohes Bevölkerungswachstum

Dank der verbesserten gesundheitlichen Versorgung überleben nicht nur Kinder häufiger ihre ersten Lebensjahre, sondern die Menschen werden auch insgesamt älter. Im Schnitt werden die Afrikaner heute 62 Jahre alt. Das sind rund 20 Jahre mehr als noch in den 1960ern. Die höhere Lebenserwartung trägt ebenfalls dazu bei, dass die Zahl der Menschen auf dem Kontinent wächst.

Der dritte Faktor für das starke Wachstum ist die Altersstruktur der afrikanischen Bevölkerung: Mehr als die Hälfte der Menschen in Afrika ist unter 20 Jahre alt. Sie stehen entsprechend noch vor oder erst am Anfang ihrer Familiengründungsphase. Heute leben rund 300 Millionen Frauen im sogenannten gebärfähigen Alter zwischen 15 und 49 Jahren in Afrika – viereinhalbmal so viele wie noch 1960. Bis 2050 dürfte ihre Zahl auf über 640 Millionen anwachsen und sich damit noch einmal mehr als verdoppeln. Die afrikanische Bevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten also weiter deutlich wachsen – selbst wenn die Kinderzahl pro Frau sinkt.

Ein hohes Bevölkerungswachstum macht es vor allem den Staaten südlich der Sahara immer schwerer, die Menschen mit den notwendigen Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Arbeitsplätzen zu versorgen. Im Schnitt wurde dort 2015 etwa ein Fünftel der Kinder im Grundschulalter nicht eingeschult, in Südsudan – dem Land mit der niedrigsten Einschulungsrate weltweit – waren es sogar zwei Drittel. Jährlich wachsen zwischen 10 und 12 Millionen Afrikaner ins Erwerbsalter hinein, während auf dem gesamten Kontinent pro Jahr nur rund 3 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Solange die Zahl der Erwerbsfähigen schneller wächst als die Anzahl der regulären Beschäftigungsverhältnisse, bleibt den Menschen kaum eine Perspektive auf ein auskömmliches Leben. Anstatt vom Lohn aus einem formellen Job leben zu können, wird die Mehrheit auch künftig darauf angewiesen sein, als Kleinbauern oder Tagelöhner ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Unter diesen Bedingungen verharren erfahrungsgemäß auch die Geburtenziffern auf hohem Niveau. Denn wo immer es Menschen an wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten mangelt, sind Kinder wichtige Arbeitskräfte und Stützen für ihre Eltern. Viel Nachwuchs ist hier gleichbedeutend mit sozialer Absicherung.

Die ärmsten Länder Afrikas sind in einem Kreislauf gefangen aus hohem Bevölkerungswachstum, schlechten Bildungs- und Gesundheitswerten, mangelnden Perspektiven und anhaltend hohen Geburtenziffern. Das hemmt nicht nur ihre Entwicklungschancen, sondern gefährdet auch die politische Stabilität der afrikanischen Staaten. Denn in Ländern mit hohem Bevölkerungswachstum konkurrieren notgedrungen auch immer mehr Menschen um begrenzte Ressourcen wie etwa Nahrungsmittel oder Wasser. Das Risiko von Verteilungskonflikten nimmt dadurch zu.

Für die Entwicklung und die Stabilität der afrikanischen Länder wird es deshalb entscheidend sein, ob die Zahl der Kinder künftig sinkt. Dazu muss sich vor allem die Basisversorgung der Menschen weiter verbessern. Denn erst wenn sich durch einen besseren Zugang zu Gesundheit, Bildung und vor allem Arbeitsplätzen die Lebensperspektiven verbessern, entscheiden sich die Menschen häufiger für kleinere Familien. Um diesen Wunsch umsetzen zu können, muss Familienplanung möglich sein. Hier aber hinkt Afrika allen anderen Weltregionen hinterher: 2017 konnte fast die Hälfte des Bedarfs an modernen Verhütungsmitteln nicht gedeckt werden.

Gutes Leben für alle?

Die Menschheit steht vor der Herausforderung, für über 7 Milliarden Menschen eine hohe Lebensqualität zu erreichen, ohne die ökologischen Grenzen der Erde zu überschreiten. Werden diese planetary boundaries überschritten, gefährdet das die Stabilität des Ökosystems und die Lebensgrundlagen der Menschheit.

Forscher aus Leeds und Berlin haben einen »sicheren und gerechten« Entwicklungsraum vermessen. Dazu quantifizieren sie den zur Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse nötigen Ressourcenverbrauch und vergleichen ihn mit den planetaren Grenzen. Ein Ergebnis ihrer Studie, die sie 2018 im Fachmagazin Nature Sustainability veröffentlicht haben: Keines der mehr als 150 untersuchten Länder erfüllt die Grundbedürfnisse seiner Bürger auf einem global nachhaltigen Niveau des Ressourcenverbrauchs. Die Niederlande zum Beispiel erreichen alle sozialen Ziele, überschreiten aber sechs der sieben biophysikalischen Grenzen zum Teil beträchtlich.

Nahrungssicherheit sowie Zugang zu sanitären Einrichtungen und Elektrizität können wir wahrscheinlich weltweit erreichen, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten. Um jedoch mehr qualitative Ziele zu erreichen, zum Beispiel eine hohe Lebenszufriedenheit, wäre ein Ressourcenverbrauch erforderlich, der zwei- bis sechsmal so hoch ist wie ein nach aktuellem Stand nachhaltiger Wert.

Autor: Alisa Kaps ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

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