Das erste Land der Welt, in dem die Geburtenziffer deutlich unter jenen Wert gesunken ist, bei dem eine Bevölkerung ohne Zuwanderung und bei gleichbleibender Lebenserwartung auf längere Sicht stabil bleibt, war Deutschland. Seit Anfang der 1970er Jahre ist das so. Und weil die Jahrgänge der Babyboomer davor deutlich stärker besetzt waren als alle späteren, war abzusehen, dass die Gesellschaft altert. 1990 lag das Medianalter, das eine Bevölkerung in eine ältere und eine jüngere Hälfte teilt, bei 37,6 Jahren, 2015 bereits bei 45,9 Jahren. 2050 dürfte es bei über 50 Jahren liegen. Noch älter waren 2015 nur die JapanerInnen mit einem Medianalter von 46,3 Jahren, das bis 2050 wohl auf über 53 Jahre steigen wird.
Japan war das erste Land, in dem der Anteil der Bevölkerung im klassischen Rentenalter von über 64 Jahren auf mehr als 20 Prozent stieg. 2016 waren es bereits 27 Prozent. Hier folgt Italien mit 23 Prozent weltweit auf Platz 2. Deutschland teilt sich mit einem Anteil dieser Altersgruppe von 21 Prozent Platz 3 mit Portugal und Finnland.
Rückläufige Kinderzahlen und eine steigende Lebenserwartung sind Folgen eines gesellschaftlichen Wandels, der unter anderem davon gekennzeichnet ist, dass es den Menschen materiell und gesundheitlich immer besser geht. Insofern ist die Alterung ein gutes Zeichen. Sie stellt die Länder aber auch vor neue Herausforderungen. Altersbedingte Krankheiten wie Diabetes oder Demenz nehmen zu, und ein immer längerer Ruhestand bedeutet eine Belastung für die Renten- und Pflegesysteme. Um die Alterung zu finanzieren und wirtschaftlich abzufedern, werden gewöhnlich vier Stellschrauben genannt: ein höheres Renteneintrittsalter, mehr Frauen im Arbeitsmarkt, mehr und bessere Bildung sowie Zuwanderung, um einen Mangel an Fachkräften auszugleichen.
Vor allem bei der Zuwanderung unterscheiden sich Deutschland und Japan, die beiden Pioniere des demografischen Wandels, fundamental. In Deutschland haben 23 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund, stammen also entweder selbst aus einem anderen Land oder haben mindestens einen Elternteil, für den das zutrifft. Rund die Hälfte dieser Personen ist eingebürgert, verfügt also über die deutsche Staatsbürgerschaft, die andere Hälfte sind Ausländer. Japan hingegen lehnt Zuwanderung als Instrument der Arbeitsmarkt- und Demografiepolitik weitgehend ab: Nicht einmal Prozent der Einwohner sind Ausländer, und es ist nahezu unmöglich, eingebürgert zu werden.
Menschen aus anderen Ländern wandern meist im jungen Erwerbsalter ein. Weil es in Japan aber so gut wie keine Einwanderung gibt, fehlt es an ausländischem Nachwuchs, der die Alterung verlangsamen könnte. Obendrein liegen die Geburtenziffern ähnlich niedrig wie in Deutschland, sodass seit 2006 in Japan mehr Menschen sterben als geboren werden. Seitdem ist die Bevölkerung bereits um 2 Millionen auf 126 Millionen geschrumpft, wobei sich der Rückgang enorm beschleunigen dürfte: Bis 2060 erwartet die nationale Statistikbehörde in ihrer mittleren Prognose eine Einwohnerzahl von 93 Millionen – das wäre ein historisch einmaliger Schwund.
2060 werden wahrscheinlich 38 Prozent aller in Japan lebenden Menschen 65 Jahre und älter sein. Die Bevölkerung im klassischen Ausbildungs- und Erwerbsalter zwischen 15 und 64 Jahren würde noch gut die Hälfte aller Bewohner ausmachen. Diese wirtschaftlich aktivste Gruppe wäre dann von ihrem Maximalwert von 87 Millionen im Jahr 1995 auf nur noch 48 Millionen geschrumpft.
Die wirtschaftliche Absicherung der Senioren ist eine Aufgabe alternder Nationen, die Unterstützung der Pflegebedürftigen eine andere. Während viele Länder dabei auf Zuwanderung setzen, hat sich Japan für einen anderen Weg entschieden. Schon in den 1960er Jahren, als die japanische Wirtschaft ihren größten Aufschwung erlebte, entschloss sich die Regierung, die Lücken im Arbeitsmarkt nicht durch Zuwanderung zu füllen, sondern die Automatisierung der Arbeitsprozesse zu fördern. So kommt es, dass Japan seine globale Führungsposition im Roboterbau zu einem Gutteil der Ablehnung von Ausländern verdankt. Auch in der Alten- und Krankenpflege kommen mittlerweile verstärkt Roboter zum Einsatz, während die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland weiterhin strengen Regeln unterworfen bleibt.
Andere Länder können von den Erfahrungen Deutschlands und Japans lernen. Schon 2050 dürften Spanien, Italien, Portugal und Griechenland zu den ältesten Ländern der EU gehören. Dort werden den Projektionen zufolge mehr als 60 Menschen im Alter von 65 und darüber auf 100 Menschen zwischen 20 und 64 Jahren kommen. Die Alterung ist unter anderem eine Folge der Wirtschaftskrise in Südeuropa seit 2008, die zu einem starken Geburtenrückgang und zur Abwanderung vor allem junger Menschen geführt hat.
Die älteste Region der Europäischen Union ist Ligurien, zu dem auch die Hafenstadt Genua gehört. Dieses Küstengebiet haben mit dem Niedergang der Schwerindustrie schon in den 1980er Jahren viele junge Menschen verlassen; zugleich ist die Lebenserwartung in Italien eine der höchsten in Europa. Vergleichsweise jung sind die Gesellschaften Osteuropas. Das liegt zum einen an einer geringen Lebenserwartung und zum anderen daran, dass die Kinderzahlen bis zum Fall des Eisernen Vorhangs noch relativ hoch lagen. Aufgrund des wendebedingten Einbruchs der Geburtenzahlen in den 1990er Jahren dürften die osteuropäischen Länder aber künftig eine rasante Alterung erleben.
Autor: Reiner Klingholz ist geschäftsführender Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung
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