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Naturefund: Paten für den Buchenwald

Urwald in Hessen? Den soll es zukünftig bei Steinau an der Straße geben. Dort kauft die Umweltorganisation Naturefund den Perlgras-Buchenwald. Völlig sich selbst überlassen, ohne Eingriffe des Menschen in die Natur, soll er Tieren und Pflanzen einen sicheren Lebensraum bieten. Um dieses ehrgeizige Ziel in die Tat umzusetzen, fehlen allerdings noch 200 Paten, die sich am Schutz des Waldes beteiligen. Wie man Pate werden kann, verrät 'abenteuer erde'.

Die Qual der Wahl

Liebe Leserin, lieber Leser,

Katja Wiese, die Gründerin der Umweltorganisation Naturefund, vergibt unter der Devise 'Land für Natur' Patenschaften für den Perlgras-Wald. Interessenten wie beispielsweise Wolf-Dieter und Monika Schulz haben die Qual der Wahl: Für 30 € können sie sich ein Stück Wald aussuchen, uralten Buchenwald, an dessen Stämmen sich zuweilen Phytothelmen bilden. Im Frühjahr leben darin Mückenlarven, die man nicht so leicht zu Gesicht bekommt. Sie könnten aber auch Pate über einen Quellbereich oberhalb des Waldes werden. In den Grasbulten dort sind Kleinstlebewesen zu Hause, die zum Teil noch nicht erforscht sind. Auch eine Patenschaft für Fledermaushöhlen ist möglich. Seltene Flattermänner wie der Abendsegler wohnen dort.

"Naturefund ist mein Kindheitstraum", erzählt Katja Wiese bei 'abenteuer erde'. Schon mit 14 Jahren habe sie beschlossen, "wenn ich mal groß bin, kaufe ich Land für Natur", berichtet Wiese. "Die Grundidee ist letztendlich, Land zu kaufen und das wirklich in Ruhe zu lassen. Dass man sozusagen Leerräume schafft, wo die Natur und die Arten Platz haben und sich entwickeln können, so wie es ihrer Art, ihrer Natur entspricht", erklärt die Gründerin von Naturefund.

Wichtiges Totholz

Seit zehn Jahren sieht der Perlgras-Wald Menschen nur spazieren gehen. In dieser Zeit wurde keiner seiner Bäume gefällt oder auf andere Art in die Natur eingegriffen. So entsteht ganz langsam wieder ein Urwald, in dem sich seltene Pflanzen wie beispielsweise der Seidelbast, aber auch viele Tiere wohl fühlen. Der seltene Schwarzspecht beispielsweise braucht ausgewachsene Bäume zum Überleben. Auch Totholz ist für ihn wichtig, denn darin sucht er nach Nahrung. Anders als in unzähligen Nutzwäldern darf das tote Holz in diesem Wald verfaulen und wird zur Lebensgrundlage unzähliger Pflanzen und Tiere. So beispielsweise für holzzersetzende Pilze, Käfer, Spinnen oder Schnecken. Wissenschaftler fanden heraus, dass in einem einzigen Kubikmeter Totholz bis zu 20.000 Individuen hausen – wesentlich mehr als in lebenden Bäumen.

Für den Perlgras-Wald interessieren sich deshalb auch Biologen wie Dr. Wolfgang Dorow vom Senckenbergmuseum. Er begann vor einigen Jahren gemeinsam mit Kollegen, 31 Forstflächen zu untersuchen, die seit 1990 sich selbst überlassen sind. Mit verblüffendem Ergebnis: "Wir haben auf den Untersuchungsflächen zu unserer Verwunderung festgestellt, dass wir es nicht mit 1.500 oder 1.800 Arten, das war so der Stand der Wissenschaft, zu tun haben, sondern in einem mitteleuropäischen, ganz normalen Buchenwald, der ja noch kein Urwald ist, mit 5.000 bis 6.000 Arten auf einer relativ kleinen Fläche", berichtet Dorow.

Spätestens in 200 Jahren soll der Perlgras-Wald die Vergangenheit lebendig werden lassen. Einst bedeckte die Rotbuche ganz Deutschland mit einem Urwald. Doch jahrhundertelange Eingriffe des Menschen haben ihn vernichtet. Nun soll er im kleinen Rahmen wieder auferstehen – auch durch Projekte wie das von Naturefund. Wissenschaftler halten viel von der privaten Initiative: "Schauen Sie mal, wie knapp die öffentlichen Kassen sind und dass da immer wieder die Diskussion hochkommt, auch Staatswald zu verkaufen. Und wenn das passiert, dann wird noch einmal der Wirtschaftsfaktor dominierender sein, als er jetzt schon ist. Der Ankauf von Flächen wäre dann sicher schon eine gute Sache für den Naturschutz", sagt Dorow.

Dass solche Initiativen erfolgreich sein können, hat Katja Wiese schon belegt – mit ihrem ersten Projekt, einem Sumpfwald im hessisch-thüringischen Grenzgebiet. Im Sommer 2005 konnte der Verkauf abgeschlossen werden. Auch hier war der Erhalt einer ursprünglichen Landschaft das Ziel. Das Zuhause von vielen seltenen Pflanzen und Tieren wurde dadurch geschützt.

Weitere Projekte in Planung!

Und Katja Wiese plant schon weitere Projekte: "Wir sind derzeit mit zwei Projekten im Gespräch. Eins ist der Kauf von einem uralten Buchenwald, der von Experten als urwaldähnlich eingestuft wurde, sozusagen die höchste Kategorie für einen naturbelassenen Wald", erzählt Katja Wiese. "Wir sind auch im Gespräch mit einem Projekt in Brandenburg. Dort gibt es eine sehr, sehr große Fläche von etwas über 800 Hektar, zu einem guten Preis." Ein hochgestecktes Ziel – das viele Paten braucht.

Mit Monika und Wolf-Dieter Schulz hat Naturefund wieder zwei neue Paten dazu gewonnen. Sie übernehmen eine Patenschaft für 90 Quadratmeter des Perlgras-Waldes. Der wird, wenn genügend Paten gefunden sind, in fachmännische Hände übergeben. "Besitzer wird der NABU Steinau. Der ist hier direkt vor Ort. Und der wird dafür sorgen, dass der Wald langfristig wild sein kann", sagt Katja Wiese. Was das für den Perlgras-Buchenwald bedeutet, wird das Ehepaar Schulz nur in den Anfängen verfolgen können. Aber ihre Ur-Ur-Enkel werden ihn erleben – den Urwald aus Buchen.

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