Beim Tankerunglück der »Amoco Cadiz« in 1978, war von dem Konzern, der das Öl transportieren ließ, kaum die Rede. Bis heute stößt man in diesem Zusammenhang kaum auf den Namen »Shell«. Gut zwanzig Jahre später, am 12. Dezember 1999, bricht bei schwerer See der rostige Tanker »Erika« vor der Bretagne auseinander. 20.000 Tonnen Heizöl fließen ins Meer, die Strände von Brest bis zur Loiremündung werden verschmutzt, 300.000 Vögel verenden, und die Wirtschaft an der Küste bricht ein.
Bei dem Prozess, in dem die Urteile immer noch nicht gesprochen sind, ist plötzlich sehr viel vom Ölkonzern Total die Rede, in dessen Auftrag die »Erika« unterwegs war. Warum? Weil Öffentlichkeit und Medien einen Sündenbock vorführen wollen, wie der Anwalt von Total glaubt? Oder doch eher, weil die Leute heute wissen wollen, wer da seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist?
Seit der Havarie der »Erika« hat die Europäische Union die Gesetze für die Sicherheit auf hoher See überarbeitet und plant weitere Verschärfungen. Das Tankerunglück der »Erika« hat also einiges bewegt. Es ist aber auch immer noch ein Musterbeispiel dafür, dass Firmen für die Folgen ihrer Unternehmungen eben nicht aufkommen müssen.
Während sich die Schäden auf knapp eine Milliarde Dollar summieren, fordern die Staatsanwälte für Total nur eine Strafe von 375.000 Euro. Und die Anklage gegen Bertrand Thouillin, der als einziger Manager von Total belangt werden sollte, wurde inzwischen auch fallen gelassen. Persönliche Konsequenzen wird es nicht geben, weil das internationale Umweltrecht den Tatbestand des Umweltverbrechens nicht kennt.
Ein weltweit geltender rechtlicher Rahmen, der die soziale und umweltrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmen festlegt, stand auch 2002 beim UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg auf der Tagesordnung. Doch eine internationale Konvention, die bei Umweltschäden das Verursacherprinzip einführen sollte, kam nicht zustande.
Wie schon zehn Jahre zuvor beim Rio-Gipfel beherrschten die transnationalen Unternehmen mit ihrem »World Business Council for Sustainable Development« die Bühne.
Diesem Gremium gehören die größten Umweltverschmutzer der Welt an: Die deutschen Chemiegiganten BASF und Bayer, der französische Hersteller von Kernbrennstäben Areva, die Holzfäller im indonesischen Regenwald von der Asia Pacific Resources International Holdings Limited (April), die Ölmultis BP und Repsol, der multinationale Bergbaukonzern Rio Tinto – sie alle führen sich nun als die großen Freunde der nachhaltigen Entwicklung auf.
Mit aufwendigen Anzeigenkampagnen und pseudo-umweltfreundlichen Werbeslogans versuchen die Firmen – Mineralölkonzerne, Getreidekartelle, Minengesellschaften, Chemie- und Pharmahersteller –, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen.
Aber von Verpflichtungen wollen sie nur etwas wissen, solange sie freiwillig sind und sich damit straflos unterlaufen lassen.
In Europa tut sich da besonders die Auto-Lobby hervor. 1998 hat sich der europäische Herstellerverband ACEA verpflichtet, den CO2-Ausstoß von Neuwagen ab 2008 auf durchschnittlich 140 Gramm pro Kilometer zu senken. Oder, anders ausgedrückt, den Benzinverbrauch auf durchschnittliche 5,6 Liter je 100 Kilometer zu reduzieren.
Einhalten wird die ACEA ihr Versprechen nicht. Ivan Hodac, ihr oberster Lobbyist in Brüssel, versteigt sich sogar zu dem Argument, strengere CO2-Grenzwerte würden dem Klima schaden. Denn die moderne Technik mache die Autos teurer, die Leute könnten sich keinen Neuwagen leisten und würden weiter ihre alten Benzinfresser fahren. Hodac kämpft darum, dass die Vorgaben der EU möglichst ohne viel Aufsehen wieder angehoben werden.
Sobald Vorschriften erlassen werden sollen, die ihre Aktivitäten merklich verteuern, setzen die Konzerne ihre Lobbymaschine in Gang. Ein Beispiel für Macht und Zähigkeit ist der Verband der Europäischen Chemischen Industrie (CEFIC). Seine Sperrfeuer sorgten dafür, dass zehn Jahre vergingen, bis die europäische Chemikalien-Verordnung Reach (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) 2007 in Kraft treten konnte.
Hier wird endlich einmal die Beweislast umgekehrt: Hersteller müssen die Unschädlichkeit tausender chemischer Substanzen nachweisen, die in Konsumgütern verarbeitet werden und im Verdacht stehen, krebserregend oder fortpflanzungsschädigend zu sein. Trotz einiger Kompromisse, die dem Druck des Chemiekartells geschuldet sind, ist Reach bei der Umsetzung des Vorsorgeprinzips ein entscheidender Fortschritt. Denn sonst bleibt es der Gemeinschaft überlassen, für die Umweltschäden aufzukommen.
Dem Vorsorgeprinzip Geltung verschaffen – das ist auch das Ziel der Europäischen Richtlinie über Umwelthaftung vom 21. April 2004. Ihre Umsetzung traf darum bei den betroffenen Unternehmern auf erbitterten Widerstand, und es dauerte drei Jahre, bis sie im April 2007 auch in deutsches Recht umgesetzt wurde.
In Europa gibt es erste Ansätze, weltweit aber ist es noch ein langer Weg, das Verursacherprinzip bei Umweltschäden durchzusetzen. Das internationale Umweltrecht kennt Hunderte von multilateralen Verträgen, doch nur wenige rechtliche Vorgaben, die mit abschreckenden Strafen sanktioniert sind. Und wenn Bürger oder Vereine dieses Recht in Anspruch nehmen wollen, wird es teuer. Denn dann müssen sie den Unternehmen auf eigene Kosten nachweisen, dass und wie sie geschädigt wurden.
Das ist auch beim Klimawandel kompliziert. Immerhin ging der damalige kalifornische Generalstaatsanwalt Bill Lockyer 2006 zum Angriff über und verklagte sechs Autobauer auf Schadenersatz, weil ihre Fahrzeuge zur globalen Erwärmung beigetragen haben und die Umwelt schädigen.
Und die deutsche Umweltorganisation Germanwatch verlangt inzwischen Schadenersatz von Volkswagen, weil deren Autos »in ungebührlichem Ausmaße zum menschengemachten Klimawandel« beitragen. »Wenn die Autoindustrie irgendwann den ersten Schadenersatzprozess verliert«, sagt Germanwatchs juristische Beraterin Roda Verheyen, »dann wird das stärkere Wellen schlagen als die Gerichtsentscheidungen zu Asbest und Tabak zusammen.«
Agnès Sinaï ist Journalistin und Dozentin am Pariser Institut d'Etudes Politiques; sie ist Koautorin der Dokumentation »Paradis perdus«, Arte, 2006.
Quelle:
Atlas special - Klima,
Le Monde diplomatique.
© 2007
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