Können wir uns noch vorstellen, Papier, Biomüll, Glas und Verpackungen in einen einzigen Mülleimer zu werfen? Noch dazu gemischt mit alten Windeln und dem Staubsaugerbeutel? Kaum. Recycling lernen die Deutschen heute im Kindergarten. Und die Hälfte unserer Abfälle wird verwertet. 1990 war es nur ein Zehntel.
»Abfalllawine« und »Müllnotstand« waren 1990 heiße politische Themen. Jedes Jahr produzierten die Städte mehr Abfall, und die Kommunen befürchteten, dass sie für ihren ganzen Müll bald keine Deponien mehr haben würden. Dutzende Müllverbrennungsanlagen sollten gebaut werden, was Hunderte Bürgerinitiativen auf die Barrikaden brachte.
Dann geisterte ein neuer Begriff durch die Diskussion: Nachhaltigkeit. Das klang zunächst wie »geistige Knetmasse«, mit der Kommunalpolitiker sich schwer taten, oder wie eine Sprechblase. Schließlich konnte sich damals kein Mensch vorstellen, wie eine Welt voller Plastiktüten, Spraydosen, Autoreifen bis hin zur Mikrowelle und den aufkommenden PCs mit ihren giftigen Chemikalien »nachhaltig« sein sollte. Eine Welt also, die höchstens so viel Material und Energie aus der Umwelt verbrauchen sollte, wie zugleich neu entsteht.
Doch der Begriff hat dann den Weg von der Wegwerfwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft gewiesen. Plötzlich lag die Betonung auf Vermeidung, Verwertung, Produktverantwortung. Für alle Experten völlig überraschend gingen in der relativ kurzen Zeit von zwanzig Jahren die jährlichen Deponiemengen rasant zurück.
Und das, obwohl die deutsche Wirtschaft seit 1990 um mehr als 15 Prozent gewachsen ist. Was in der Energiepolitik und beim Klimaschutz noch utopisch wirkt, hat die Abfallpolitik vorgemacht: Das Abfallaufkommen wurde vom Wirtschaftswachstum entkoppelt.
Dieser Erfolg wurde nicht mit wachsweichen Selbstverpflichtungen erreicht, sondern mit strengen Vorschriften: Auf Deponien darf heute nur noch Asche, Stein und Erde abgekippt werden. Vorbei sind die Zeiten der Melange aus Plastik, Elektroschrott und Gartenabfällen auf süßlich riechenden Deponien, die unter dem Gewicht eines Fußes leicht federn wie eine Gummimatte.
Biomüll, Glas, Altpapier und Verpackungen müssen getrennt gesammelt werden. Dazu haben Dutzende Verordnungen für Batterien, Altöl, Altautos, Bauschutt und Elektroschrott die Wirtschaft wie die Verbraucher zum Umdenken gezwungen. Statt 12 Prozent wie noch Anfang der 1990er-Jahre werden heute mehr als 55 Prozent des gesamten Müllvolumens recycelt.
Glas, Papier, Pappe und Karton werden getrennt gesammelt und erreichen damit Verwertungsquoten von 60 bis 90 Prozent. 1990 wanderte der Biomüll noch in die graue Einheitstonne, von deren Inhalt er etwa ein Drittel ausmachte. 2003 wurden insgesamt 8 Millionen Tonnen Biomüll getrennt gesammelt und in über 800 Kompostierungsanlagen verarbeitet. Die Qualität dieses Kompostes wird überwacht. Landwirte sowie Garten- und Landschaftsbauer nutzen ihn auf ihren Feldern.
Diese Ökobilanz kann sich sehen lassen. Seit 1990 sind die klimaschädlichen Emissionen aus der Abfallwirtschaft umgerechnet um 30 Millionen Tonnen CO2 zurückgegangen. Das entspricht den Emissionen von 2,5 Millionen Bundesbürgern. Das der Schönfärberei unverdächtige IFEU Institut in Heidelberg hat berechnet, dass wir durch die Verbrennung aussortierter Plastikreste in Zementfabriken oder Müllöfen so viel Öl, Gas oder Kohle einsparen, wie 700.000 Menschen verbrauchen.
Das Recycling von Metall spart jedes Jahr 1 Million Tonnen Eisenerz und 26.000 Tonnen Phosphaterz, das entspricht dem Ressourcenverbrauch von 1,2 beziehungsweise 3 Millionen Einwohnern. Außerdem wirkt die revolutionierte Abfallwirtschaft der Versauerung von Böden und der Überdüngung von Gewässern entgegen.
Ende der 1980er-Jahre standen die krebserzeugenden Emissionen von Dioxinen und Furanen im Mittelpunkt der Diskussion um die Müllverbrennung. Heute sind diese Emissionen auf ein Tausendstel ihrer damaligen Werte zurückgegangen. Mit besserer Technik könnte man die Emissionswerte noch weiter senken. Aber für dieses Ziel kämpfen die Umweltverbände schon nicht mehr, weil diese Emissionen die Gesundheit der Menschen nicht mehr akut gefährden.
Steht demnach alles zum Besten? Für andere Länder, in denen man die Mülltrennung gerade erst entdeckt, könnte Deutschland in der Tat ein leuchtendes Vorbild sein. Doch hier stagniert die Verwertung.
Im Land der leidenschaftlichen Mülltrenner finden sich in der »Grauen Tonne« nach wie vor 50 Prozent Papier, Holz, Biomüll und Leder, die noch heraussortiert werden müssen oder als Mischmüll in der Müllverbrennung landen. Mehr Werbung und strengere Richtlinien zum getrennten Sammeln wie auch zum Vermeiden von Abfällen sind nötig. Der Wille hierzu ist aber weitgehend erschlafft.
Nach und nach sollen die Deponien in Deutschland ganz geschlossen werden. Dann müssen die Abfälle, die nach Trennung, Sortierung und Recycling noch übrig bleiben, verbrannt werden – zum Teil in Zementwerken, Hochöfen und Kohlekraftwerken. Die Abluft aus diesen Anlagen muss zwar theoretisch dieselben Emissionsgrenzwerte einhalten wie moderne Müllverbrennungsanlagen. Für Nur-Müll-Verbrennungsanlagen gelten aber sehr viel strengere Auflagen als für Anlagen zur Mitverbrennung. Auch hier könnte der Gesetzgeber also nachbessern.
Marcus Franken ist freier Journalist mit Schwerpunkt Energie- und Umweltreportagen.
Fundierte Kritik und Wegweisendes
Gründerväter der Nachhaltigkeits-Forschung
Quelle:
Atlas special - Klima,
Le Monde diplomatique.
© 2007
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