Das Zypernproblem ist eine Hinterlassenschaft der Kolonialgeschichte, doch seine Schärfe und Dauer ist eine Folge der konkurrierenden Aspirationen der griechischen und der türkischen Volksgruppe und ihrer »Mutterländer«. Das ursprüngliche Ziel der griechischen Mehrheit (80 Prozent der Bevölkerung) war die Vereinigung mit Griechenland (Enosis), das der türkischen Minderheit (18 Prozent der Bevölkerung) die Teilung (Taksim) und ein separater Staat. Beide nationalistischen Konzepte schienen 1960 durch die Gründung der Republik Zypern neutralisiert.
Doch die Führer beider Volksgruppen verfolgten ihre Maximalziele weiter, wenngleich mit unterschiedlichem Erfolg. 1963 provozierte die griechische Führung einen Bürgerkrieg, der Enosis herbeiführen sollte, tatsächlich aber die Entflechtung beider Volksgruppen in Gang setzte, die bis dahin als gute Nachbarn gelebt hatten. Die Mehrheit der türkischen Zyprioten zog sich in Enklaven zurück, die ihre Führer auf Zypern und in Ankara als Keimform eines Separatstaats sahen.
Das türkische Maximalziel erfüllte sich 1974 mit dem Putsch der Athener Obristen gegen die Regierung Makarios. Der bot Ankara die Chance zu einer Invasion, deren Resultate den Zypernkonflikt bis heute bestimmen: dauerhafte Okkupation von 36 Prozent des Territoriums; Flucht von 160.000 griechischen Zyprioten nach Süden; Entstehung zweier »ethnisch bereinigter« Zonen: eines türkisch besiedelten Nordens und eines griechisch besiedelten Südens.
Obwohl der Süden völkerrechtlich ganz Zypern repräsentiert, ist der Norden bis heute faktisch ein türkisches Protektorat, das als Staat nur von Ankara anerkannt wird. Seit 1975 bemühten sich die Vereinten Nationen vergebens, die Teilung wie auch die völkerrechtliche Anomalie zu überwinden.
Die Erfolgschancen besserten sich erst, als die EU gleich doppelt in die Zypern-Frage involviert wurde: mit der Aufnahme der Republik Zypern zum 1. Mai 2004 und mit der Beitrittsperspektive für die Türkei, ermöglicht durch die Reformpolitik der Regierung Erdogan.
Als begünstigende Faktoren kamen hinzu: die positive Haltung der Athener Regierung, die Rebellion der türkischen Zyprioten gegen die Politik ihres Präsidenten Denktasch, der eine Lösung wie auch die EU-Perspektive blockiert hatte, und die konfliktfreie Begegnung beider Volksgruppen nach Öffnung der »grünen Linie« im Frühjahr 2003.
Diese Konstellation ermutigte den UN-Generalsekretär im November 2003 zu einer neuen Initiative. Doch der Annan-Plan, der ein wiedervereinigtes Zypern in Form einer »bizonalen Föderation« unter dem Dach der EU vorsah, wurde von den griechischen Zyprioten mit großer Mehrheit abgelehnt, nachdem ihr Präsident den Plan als »selbstzerstörerisch« bezeichnet hatte.
Die Fronten haben sich seit dem Referendum vom April 2004 noch verhärtet. Im Süden haben die Kräfte Oberwasser, die ihr politisches Kapital in die Teilung investieren.
Die Politik der Regierung Papadopoulos zielt faktisch auf die individuelle Reintegration der türkischen Zyprioten in die griechisch dominierte Republik statt auf eine Föderation zweier gleichberechtigter Partner.
Im Norden wiederum ist die vereinigungswillige Regierung Talat heute von der Regierung Erdogan ebenso abhängig wie vormals das Denktasch-Regime von der türkischen Armee. Und dass die Polizei noch immer dem Oberbefehlshaber der türkischen Besatzungstruppen untersteht, zeigt, dass weder Erdogan noch Talat die Interessen der türkischen Armee in Zypern anzutasten wagen.
Die Teilung wird auch durch die ökonomischen Entwicklungen zementiert. Der Süden, dessen lebenswichtiger Tourismus in der Krise steckt, hat kein Interesse, den Tourismus des Nordens aufzuwerten. In anderen Branchen gibt es massiven Widerstand gegen die Öffnung für billige Produkte des türkischen Sektors, die von EU-Seite befürwortet wird.
Im Norden lebt die Konjunktur von einem Bauboom in Form touristischer Projekte, die großenteils auf griechischem Grundbesitz entstehen. Das aber ist ein massives Hindernis für eine politische Lösung, die maßgeblich von einer Regelung der Eigentumsansprüche abhängt, wobei die zypriotischen »Alteigentümer« ihre Ansprüche auf Entscheidungen der höchsten EU-Gerichte stützen können.
Die EU selbst hat keinen großen Einfluss auf die Entwicklung der Dinge. Da die Regierung Papadopoulous dem Klub angehört, kann sie missliebige Initiativen der EU-Kommission zugunsten der türkischen Zyprioten jederzeit blockieren. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der Türkei und der EU, die z. B. die Öffnung türkischer Häfen für zypriotische Schiffe fordert.
Damit hängt die Zypernfrage wie ein Damoklesschwert über den Beitrittsverhandlungen Ankaras. Wobei die EU-skeptischen politischen Kräfte in Ankara wie auch die Türkei-skeptischen Kreise innerhalb der Union diese Frage instrumentalisieren können, um die europäische Perspektive der Türkei zu torpedieren. Sollten diese Kräfte die Oberhand behalten, wäre die Teilung Zyperns endgültig.
Niels Kadritzke ist freier Journalist in Berlin und Redakteur der deutschen Ausgabe von »Le Monde diplomatique«.
Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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