Moldawien: ein Land sucht den Anschluss

Moldawien liegt an der Grenze zweier kultureller Großregionen, zwischen Zentraleuropa und dem Teil Osteuropas, der historisch an Russland orientiert war. Obwohl in Chisinau heute ein »kommunistischer« Präsident regiert, hat sich das Land mit Moskau überworfen und orientiert sich an der EU. Ungelöst bleibt jedoch der Konflikt um die sezessionistische Region Transnistrien.

Moldawien vom Schwarzen Meer abgeschnitten

Als die Rote Armee 1945 erneut in Bessarabien einmarschierte, nachdem sie das Gebiet schon 1939 bis 1941 aufgrund des Molotow-Ribbentrop-Pakts besetzt hatte, entschied Josef Stalin, die Budschaksteppe der Ukraine zuzuschlagen, die damit einen Zugang zum Donaudelta erhielt. Für die neu gegründete Republik Moldawien bedeutete dies, dass sie vom Schwarzen Meer abgeschnitten war und zum Binnenstaat wurde.

Ein Jahrhundert zwischen mächtigen Nachbarn
Foto: © Le Monde diplomatique

Transnistrien – wichtiger strategischer Raum

Dagegen blieb Transnistrien ein Teil Moldawiens. Der schmale Gebietsstreifen östlich des Dnjestr, der bei einer Länge von 250 km durchschnittlich nur 20 km breit ist, war 1924 von der Ukraine abgetrennt und der neu gegründeten Moldawischen Autonomen Region angegliedert worden.

Bis zum Zweiten Weltkrieg war Transnistrien eine Art Symbol für den russischen Anspruch auf die Kontrolle Bessarabiens, von 1918 bis 1945 eine Provinz Rumäniens. Die Region war mehrheitlich von Russen und Ukrainern bewohnt, hier war die Schwerindustrie des Landes – u. a. mit einem Stahlkombinat – konzentriert, und hier stand auch die 14. Armee, die Transnistrien zu einem wichtigen strategischen Raum an der Südostflanke der Sowjetunion machte.

Zusammenschluss mit Rumänien?

Als Moldawien 1990 seine Unabhängigkeit erklärte, plädierte ein Teil der nationalen Elite für den Zusammenschluss mit Rumänien. Die Begründung lautete, entgegen der zu Zeiten des sowjetischen Blocks gültigen Fiktion seien alle Moldawier im Grunde Rumänen: Sowohl die in der vormaligen UdSSR als auch die in Ostrumänien lebenden Moldawier sprechen Rumänisch und sind der Religion nach orthodoxe Christen. In diesem Sinne forderten die nationalen Kreise auch, die moldawische orthodoxe Kirche statt dem Patriarchat von Moskau dem Patriarchat von Bukarest zu unterstellen.

Gründung der Transnistrische Moldauische Republik

Die Russen und Ukrainer Transnistriens waren gegen eine solche Fusion und schufen mit Hilfe Moskaus die Transnistrische Moldauische Republik (TMR), die sich von Moldawien abspaltete. Auch die Absage des ersten moldawischen Präsidenten Mircea Snegur an die Idee eines Anschlusses an Rumänien (»ein Volk, zwei Staaten«) vermochte die Gemüter nicht zu beruhigen. Zumal dieser Erklärung 1992 der fatale Versuch vorausgegangen war, das Territorium jenseits des Dnjestr gewaltsam zurückzuholen, was aber die 14. Armee unter Befehl von General Lebed vereitelt hatte.

Politik und Wirtschaft
Foto: © Le Monde diplomatique

Transnistrienkonflikt ungelöst

Andere Unabhängigkeitsbestrebungen konnte die Regierung in Chisinau auffangen, indem sie zum Beispiel den Gagausen, einem Turkvolk christlich-orthodoxen Glaubens, einen territorialen Autonomiestatus zugestand. Der Transnistrienkonflikt hingegen blieb ungelöst, nachdem auch eine Fünfergruppe – Russland, Ukraine, OSZE, Moldawien und die TMR selbst – keine Formel für einen politischen Kompromiss finden konnte.

Gründung der Guam

Die TMR entwickelte sich unter ihrem Präsident Igor Smirnow zu einem »schwarzen Loch«, das dem Schmuggel mit Waffen, Menschen, Erdölprodukten und anderen Waren ideale Entfaltungsbedingungen bot. Als der Regierung in Chisinau klar wurde, wie halbherzig Moskau die Wiedervereinigung des Landes unterstützte, gründete sie zusammen mit Georgien, der Ukraine und Aserbaidschan die Guam (benannt nach den Anfangsbuchstaben der Mitgliedstaaten).

Diese Gruppierung, der zeitweise auch Usbekistan angehörte, ist westlich orientiert und kritisiert immer wieder die Konflikt schürende Rolle Moskaus in sezessionistischen Regionen wie Abchasien und eben Transnistrien.

Annäherung an Russland

Aus der Präsidentschaftswahl von 2001 ging der Vorsitzende der kommunistischen Partei Moldawiens, Wladimir Woronin, als Sieger hervor. Im Wahlkampf hatte er für die Wiederannäherung an Russland geworben. Er versprach sich von Moskau konkrete Hilfe bei der Lösung des Transnistrienkonflikts und machte dafür einige heftig kritisierte Kompromisse: Moldawisch gilt fortan als gegenüber dem Rumänischen eigenständige Sprache, die moldawische Geschichte soll umgeschrieben werden, russisches Kapital soll Großbetriebe kaufen dürfen.

Ethnien und Sprachen
Foto: © Le Monde diplomatique

Kozak-Plan

Im November 2003 schien eine Lösung in greifbare Nähe gerückt. Der unter Umgehung der OSZE ausgearbeitete Kozak-Plan (nach dem Emissär des russischen Präsidenten Putin) sah eine asymmetrische Föderation mit zwei autonomen Gebieten vor (Gagausen-Region und TMR). Doch die Zugeständnisse an Moskau (Vetorecht für die TMR-Vertreter im Bundesparlament, weitere 20 Jahre russische Militärpräsenz, obwohl die 14. Armee schon 2002 hätte abgezogen werden sollen) lösten bei der Opposition Entrüstung aus.

Annäherung an die EU

Unter dem Druck der Straße und der OSZE verwarf Präsident Woronin schließlich den Plan. Das Ergebnis war eine schwere Krise mit Moskau und eine Annäherung an die Europäische Union. Doch für Woronin hat sich der Kurswechsel gelohnt, denn im April 2005 gelang ihm die Wiederwahl.

Veränderungen nach der »Revolution in Orange«

Mit dem Erfolg der »Revolution in Orange« in Kiew ist eine neue Situation entstanden. Jetzt könnte erstmals die ukrainische Grenze zur TMR strikt kontrolliert werden, um den Schmuggel einzudämmen. Auch die Guam-Gruppe gewinnt wieder an Bedeutung und wird um eine energiepolitische Komponente erweitert.

Nach einem zwischen Kiew und Chisinau vereinbarten Gebietsaustausch kann Moldawien seinen Zugang zur Donau ausbauen und in Giurgiulesti einen Ölverladehafen und eine Raffinerie bauen, womit es von russischen Gaslieferungen unabhängiger wird. Doch eine Lösung des Transnistrienkonflikts ist immer noch nicht in Sicht.

Autor: Jean Radvanyi

Jean Radvanyi ist Geografieprofessor, lehrt am Zentrum für Russlandstudien des Inalco/CNRS (Paris) und ist Autor u. a. von »La Nouvelle Russie«, Paris (Armand Colin) 2004.

Mehr Informationen zu dem Thema:

Berichte der OSZE-Mission in Moldawien

Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.

© 2006

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