Abhängige Gebiete, letzte Kolonien

Heute existieren nur noch sechzehn Kolonien. Außer diesen Territorien gibt es noch die über die Welt verstreuten »Krümel« der alten Kolonialreiche. Sie dienen entweder als strategisch wichtige Militärbasen oder als diskrete Finanzplätze und Steuerparadiese. Hier leben mehr als 10 Millionen Menschen.

Abhängige Territorien

Seit 1945 führen die Vereinten Nationen ein Verzeichnis aller abhängigen Gebiete und Territorien. Darin waren bis Ende der 1950er-Jahre noch bis zu hundert Territorien aufgelistet, nach der Entkolonialisierungswelle zwischen 1960 und 1980 blieben davon nur noch sechzehn übrig.

Zehn Territorien abhängig von Großbritannien

Von der Fläche her ist die von Marokko okkupierte Westsahara das bei weitem größte der verbleibenden Gebiete und das einzige, das in Afrika liegt. Zehn dieser Territorien mit insgesamt 220.000 Einwohnern sind von Großbritannien abhängig: in der Karibik die Inseln Anguilla, Bermuda, Kaiman, Turks und Caicos sowie die Britischen Jungferninseln; im Südatlantik Sankt Helena und die Falklandinseln (von den Argentiniern, die sie beanspruchen, Malvinas genannt).

Die Karibik Europas und der USA
Foto: © Le Monde diplomatique

Gebiete der USA und Frankreich

Unter US-amerikanischer Verwaltung leben insgesamt 320.000 Personen, und zwar auf den Jungferninseln in der Karibik (eine wichtige Anlaufstation für Kreuzfahrtschiffe), auf Guam (eine wichtige Militärbasis) und auf Samoa im Pazifik (das von der Thunfischverarbeitung lebt). Frankreich besitzt noch die Verwaltungshoheit über Neukaledonien (mit wichtigen Nickelvorkommen), das sich nach den Verträgen von Nouméa (1998) allerdings in einem Übergangsstatus befindet.

Prozess der Entkolonisierung

Seit der Unabhängigkeit von Namibia (1990), Eritrea (1993) und Osttimor (2001) ist es um das zuständige Special Committee of 24, das seit Anfang der 1960er-Jahre existiert und den Entkolonialisierungsprozess begleiten sollte, sehr still geworden.

Obwohl die Vereinten Nationen zu Beginn des dritten Jahrtausends ein zweites Jahrzehnt der Entkolonisierung ausgerufen haben, beschränkt sich das Komitee im Wesentlichen darauf, sich für die größtmögliche Integration der noch abhängigen Territorien in ihre regionale Umgebung einzusetzen.

Statusveränderungen

Viele Inseln und Territorien – insbesondere französische – wurden dem wachsamen Auge der UN entzogen, indem man einfach ihren Status änderte. Die französischen Kolonien in den Antillen und im Indischen Ozean – Réunion, Martinique, Guadeloupe und Guayana, mit insgesamt 1,7 Millionen Einwohnern – wurden bereits 1946 zu Überseeprovinzen (Départements d’outre mer, DOM).

Mayotte im Komorenarchipel strebt denselben Status an. Diese Inseln sind heute als »ultraperiphere Regionen« in die Europäische Union integriert, womit sie denselben Status haben wie die Azoren und Madeira (portugiesisch) und die Kanarischen Inseln (spanisch).

Die französischen Territorien im Pazifik, Neukaledonien und Polynesien, die bis 1996 als Atomtestgelände dienten, haben mittlerweile den Status von »Überseeländern« (Pays d’outre-mer, POM).

Im 20.000 Kilometer entfernten Paris hat man eingesehen, dass auch sie auf mittlere Sicht unabhängig werden müssen. Sie teilen ihren Status von »überseeischen Ländern und Territorien der Europäischen Union« mit den Niederländischen Antillen und der (ebenfalls niederländischen) Insel Aruba sowie mit den britischen Besitzungen, die größtenteils direkt von London aus verwaltet werden.

Spezifische oder private Territorien

Nicht auf der UN-Liste der abhängigen Gebiete verzeichnet sind auch einige spezifische oder private Territorien. Das gilt etwa für das British Indian Ocean Territory (Biot) mit dem Diego-Garcia-Atoll. Die Bewohner von Diego Garcia wurden in den 1970er-Jahren nach Mauritius deportiert, weil ihre Insel von Großbritannien an die US-Kriegsmarine verpachtet wurde.

Ein Sonderfall sind auch die Isle of Man in der Irischen See und die Kanalinseln Jersey und Guernesey, die übrigens nicht zum EU-Territorium gehören. Nicht erfasst sind auch die US-amerikanischen Midwayinseln und das Johnston-Atoll imPazifik, desgleichen die angolanische Exklave Cabinda, die von Kongo-Brazzaville umschlossen ist.

Neue Staaten und koloniale Reste
Foto: © Le Monde diplomatique

Steuerparadiese und Offshore-Bankplätze

Seit mehr als 25 Jahren stehen einige dieser exotischen Orte im Verdacht, als Steuerparadiese und Offshore-Bankplätze Geldern aus illegalen Geschäften ein Refugium zu bieten. Auf den Jungferninseln gibt es 200.000 Firmensitze, das sind 10 auf jeden Einwohner. Auf den Kaimaninseln beträgt das Verhältnis zwar nur 2 zu 1, doch über die 40.000 Firmensitze und 900 Offshore-Banken sollen jährlich 800 Millionen Dollar transferiert werden.

Die Bewohner der Bermuda-Inseln lehnten 1995 die Unabhängigkeit ab, weil sie den Abzug der in in ihren Banken lagernden Geldsummen befürchteten. Heute belegen die Bewohner der Inseln laut Rangliste der Weltbank bei den Pro-Kopf-Einkommen hinter den US-Amerikanern und den Luxemburgern den dritten Platz.

Koralleninsel Nauru als beliebter Offshore-Finanzplatz

Die nur 21 Quadratkilometer große Koralleninsel Nauru, zwischen Hawaii und Australien gelegen, die früher von ihren Phosphatvorkommen lebte, ist inzwischen zu einem beliebten Offshore-Finanzplatz geworden, der insbesondere Gelder der russischen Mafia anzieht.

Die Insel stand 2005 auf der schwarzen Liste der Aktionsgruppe gegen Geldwäsche, FATF (Financial Action Task Force on Money Laundering), auf der die mit Neuseeland assoziierten Cookinseln mittlerweile nicht mehr auftauchen.

Moderne Versionen von Einnahmequellen

Ende der 1990er-Jahre verdoppelte der im Pazifik gelegene Mini-Inselstaat Tuvalu seinen Etat, indem er die begehrte Internet-Domain-Kennung ».tv« verpachtete – die moderne Version einer Einnahmequelle, die von den Seychellen wenige Jahre nach der Unabhängigkeit entdeckt und mit dem »Economic Citizenship Programme« institutionalisiert wurde: der Verkauf von Pässen an Ausländer.

Autor: Philippe Leymarie

Philippe Leymarie ist Journalist bei Radio France internationale.

Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.

© 2006

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