Die Zersplitterung der politischen Landschaft Afghanistans begann schon 1978 mit dem Staatsstreich der afghanischen Kommunisten, der sich als von Moskau inspiriert herausstellte. Dieser Coup schwächte die Zentralregierung, die sich aus den afghanischen Provinzen immer mehr zurückziehen musste, bis sie nur noch in Kabul herrschte und 1991 ganz von der Bühne verschwand.
Die von 1980 bis 1989 andauernde sowjetische Besatzung verschärfte die inneren Gegensätze. In der Provinz wurde der Aufstand von hunderten von »Warlords« organisiert, von denen einige nur ein paar Dutzend, andere wiederum mehrere tausend Mann befehligten. Die Einnahme der Städte nach 1991 begünstigte in den einzelnen Regionen einen Konzentrationsprozess, der die schwächeren Organisationen politisch eliminierte.
Von dieser Dynamik und der Rivalität zwischen den verschiedenen Mudschaheddin-Gruppierungen profitierte am Ende die hauptsächlich von Pakistan unterstützte Bewegung der Taliban, die 1996 Kabul einnahmen und einen rudimentären Staat aufbauten.
Die Taliban wurden zu Beginn auch von den USA unterstützt, fanden sich aber bald schon international isoliert. Als sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Ussama Bin Laden in Afghanistan Asyl gewährten, löste dies die Invasion der US-Truppen aus.
Seitdem sind drei unterschiedliche Entwicklungen in Gang gekommen. Die erste ist ein eklatanter Rückfall in die politische Fragmentierung, der die unmittelbare Konsequenz aus dem Zusammenbruch des Talibanregimes darstellt.
Die USA ließen es zu, dass die wichtigsten Warlords ihre frühere Machtposition wieder erlangten, denn sie wollten den Krieg »outsourcen«, also von lokalen Milizen führen lassen. Das erklärt auch ihre Unfähigkeit, den früheren Talibanführer Mullah Mohammed Omar und Ussama Bin Laden zu fassen.
Angesichts dieser Situation hatte der Wiederaufbau der staatlichen Institutionen widersprüchliche Folgen. Die Bemühungen der Zentralregierung, die lokalen Machthaber auszuschalten (auch durch Attentate wie den erfolglosen Anschlag auf Ismail Khan in Herat) waren letztlich wenig erfolgreich, da es dem Staat nicht gelang, das entstandene Vakuum sofort auszufüllen.
Die Präsidentschaftswahlen vom Herbst 2004 demonstrierten nur die Stärke der lokalen politischen Kräfte, was durch den Ausgang der Parlamentswahlen von 2005 bestätigt wurde. Das einigermaßen frei gewählte Parlament offenbarte ebenfalls starke ideologische Gegensätze, abgesehen davon, dass es auch die untergeordnete Stellung der Frau bestätigte.
Zudem sieht sich Staatspräsident Hamid Karsai dem Vorwurf ausgesetzt, nur Befehlsempfänger der US-Botschaft zu sein. Der Vertrag, den der Präsident bei seinem Besuch in Washington im Mai 2005 unterzeichnet hat, lässt den USA bei ihren militärischen Operationen auf afghanischem Boden praktisch völlig freie Hand.
Die zweite Entwicklung betrifft die Rolle der Guerilla. Obwohl sie immer wieder totgesagt wurde, konnte sie bisher dank der Hilfe aus Pakistan und der Unbeliebtheit der amerikanischen Truppen durchaus überleben. Dabei hat sie ihre Taktik verfeinert, indem sie Hilfstransporte angreift und auch Selbstmordattentäter einsetzt. Auf diese Weise hat sie den US-Truppen im Frühjahr 2005 hohe Verluste zugefügt, was die Regierung in Washington zu der Entscheidung brachte, einen Teil ihrer Soldaten abzuziehen und einige Aufgaben an die Nato abzugeben.
In den Landesteilen, in denen die Aufständischen aktiv sind – das sind die Regionen mit paschtunischer Mehrheitsbevölkerung –, hat die westliche Militärpräsenz inzwischen schon die Stärke der sowjetischen Truppen in den 1980er-Jahren erreicht. Wie heftig diese Besatzung abgelehnt wird, zeigten die Ausschreitungen bei antiamerikanischen Demonstrationen und die seit Anfang 2006 noch einmal deutlich zunehmende Zahl der Anschläge.
Die dritte wichtige Entwicklung ist die Überhandnahme der Korruption, die den gesamten afghanischen Verwaltungsapparat unterhöhlt, und der Trend zum Drogenstaat. Im Osten und Süden wie auch in einigen Teilen des Nordens ist Opium das wichtigste Erzeugnis; auf nationaler Ebene liegt sein Anteil an der Wertschöpfung bei 40 Prozent.
Diese Entwicklung hat in einigen Regionen zu einem stark nach außen orientierten Wirtschaftssystem geführt, wobei der Schmuggel (nicht nur mit Drogen) die entscheidende Rolle spielt. Der Wiederaufbau des Landes kommt nur schleppend voran, weil die Hilfsgelder zu spärlich fließen und zudem über allzu viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kanalisiert werden. Damit ist in Kabul eine »humanitäre Seifenblase « entstanden, die auch durch ihre preistreibende Wirkung dazu beiträgt, dass die im Lande tätigen Ausländer immer unbeliebter werden.
Gilles Dorronsoro ist Autor von »Afghans: peuple déchiré. 1992–2002« (zs. mit dem Fotografen Stephan Gladieu), Paris (Autrement) 2002.
Projekt für Alternative Sicherheitspolitik
Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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