Die Verabschiedung des Gats, des Allgemeinen Abkommens über Handel und Dienstleistungen, bildete 1994 den Abschluss der Uruguay-Runde zur Erweiterung des Gatt, des Allgemeinen Abkommens über Tarife und Handel (daraus entstand die Welthandelsorganisation WTO, die also für das Gats zuständig ist). Das Gats sollte nach fünf Jahren überarbeitet werden und steht deswegen seit dem Jahr 2000 wieder in der politischen Debatte.
Das neue Abkommen soll bis Ende 2006 unterschriftsreif sein. Beim Gats unterscheidet die WTO zwölf Wirtschaftsbereiche, in denen Dienstleistungen anfallen. Eine Ausnahme stellen nur kostenlose, von einem Monopolanbieter erbrachte Leistungen dar, etwa durch staatliche Verwaltungen, Militär und Justiz, wobei aber die Privatisierung diesen Zweig immer weiter schrumpfen lässt. Für die WTO ist es gleichgültig, ob Dienstleistungen durch den privaten oder den öffentlichen Sektor erbracht werden und ob die Angebote kommerziellen Inhalts sind oder nichtkommerziell, etwa wenn sie den sozialen Zusammenhalt unterstützen.
Das Gats prüft »Maßnahmen«, nämlich Gesetze, Regeln und Verfahren, die für grenzüberschreitende Dienstleistungen gelten. Betroffen sind etwa auch Nichtregierungsorganisationen, die durch öffentliche Zuschüsse subventioniert werden und im Ausland ihre Leistungen anbieten.
• Dienstleistungen, die in einem Land für ein anderes Land erbracht werden. Dazu gehören Online-Bildungsangebote, die Energieerzeugung in einem Land für den Absatz in einem anderen oder die grenzüberschreitende Übermittlung einer ärztlichen Diagnose.
• Dienstleistungen, für deren Inanspruchnahme ein Kunde oder Auftraggeber in ein anderes Land fährt. Damit sind Studium, Krankenhausbehandlung oder die anwaltliche Beratung außerhalb des eigenen Landes gemeint, aber auch die Reservierung von Hotelzimmern im Ausland.
• Dienstleistungen, mit denen in einem anderen Land investiert wird. Sie dienen der Organisation von Unterrichtsangeboten oder der Gründung von Niederlassungen, Zweigstellen oder Firmenvertretungen im Ausland.
• Dienstleistungen, die durch Unternehmensangehörige im Ausland erbracht werden. Das sind etwa ausländische Lehrkräfte oder Bauarbeiter, die im Inland tätig sind.
Das Gats sieht bestimmte Prinzipien vor und erlaubt zwar Ausnahmen davon, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen:
• Transparenz: Es gibt eigentlich keine Ausnahme von dieser »Regel«; die Duldung des Bankgeheimnisses in den Steuerparadiesen zeigt allerdings, wie sie gehandhabt wird.
• Meistbegünstigungsklausel: Die Länder müssen ausländische Leistungserbringer genauso behandeln wie die bestgestellten heimischen Anbieter. Ausnahmen sind auf einen Zeitraum von zehn Jahren beschränkt.
• Gleichbehandlung: Die Staaten müssen Anbietern von Dienstleistungen aus dem Ausland die gleiche Behandlung gewähren wie ihren eigenen Serviceanbietern, unabhängig davon, ob es sich um staatliche oder private Unternehmen handelt. »Wettbewerbsverzerrende« Subventionen sind einzuschränken respektive zu verbieten.
• Marktzugang: Die Beschränkung des Marktzugangs ist nicht gestattet. Bestehen Ausnahmeregelungen bei verlangten Qualifikationen, technischen Standards oder Lizenzfragen, die »strenger als erforderlich sind«, kann in Verhandlungen ihre Aussetzung verlangt werden.
Die WTO beschloss, das Gats nach der ersten Verhandlungsrunde bis 1996 als Prozess mit weiteren Runden anzulegen, die auf eine immer weitgehendere Liberalisierung zielen. Organisatorisch soll dies dadurch bewerkstelligt werden, dass immer mehr Dienstleistungsgeschäfte den vier Modalitäten unterworfen werden; eine Ausweitung der Privatisierung folgt praktisch automatisch. Die neue Runde soll nun bis Ende 2006 abgeschlossen sein.
Vor allem viele Länder des Südens reagierten zurückhaltend. Um die neue Runde in Schwung zu bringen, forderte 2001 die WTO-Ministertagung in Doha die Staaten auf, »Anfragen« (Liste der Länder mit Dienstleistungen, die sie in jeweils anderen Ländern liberalisiert sehen wollen) und »Angebote« (Liste mit Dienstleistungen, die ein Land zu liberalisieren bereit ist) zu erstellen. In bilateralen Verhandlungen sollten zunächst »Anfragen« und »Angebote« in Deckung gebracht werden, um sie anschließend zu verallgemeinern.
Die Globalisierungskritiker forderten hingegen ein Moratorium dieses Prozesses und die Veröffentlichung der »Angebote« und »Anfragen«, damit in den einzelnen Ländern die politischen Folgen diskutiert werden können und die Betroffenen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Aber das »bilaterale« Konzept blieb stecken.
Ende 2005, auf der letzten WTO-Ministerrunde in Hongkong, wurde der Übergang zu »plurilateralen« Verhandlungen beschlossen. Jetzt besteht die Gefahr, dass wohl begründete Einzelinteressen von Ländern »im Interesse des Ganzen« ignoriert werden müssen, um überhaupt noch Ergebnisse zustande zu bringen. Viele Nichtregierungsorganisationen halten es weiterhin für das Beste, wenn der Gats-Prozess einfach platzt – dann würde es in diesem Bereich wenigstens nicht schlimmer.
Raoul Marc Jennar ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der belgischen NGO Unité de recherche, de formation et d'information sur la globalisation (Urfig); er ist Autor von „Europe, la trahison des élites“, Paris (Fayard) 2004.
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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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