Die weltweiten Militärausgaben beliefen sich im Jahr 2004 auf 1,035 Billionen Dollar, wenn man zu den Beschaffungs- und den laufenden Kosten die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F & E) dazurechnet. Diese Zahl bedeutet einen Anstieg von mehr als 30 Prozent seit 1998. In diesem Jahr waren die Militärausgaben auf ihrem niedrigsten Stand seit dem Ende des Kalten Kriegs.
Und die Rüstungsdiskussion drehte sich vor allem um die »Friedensdividende«, die sich freilich in Luft auflöste, bevor sie sich materialisieren konnte.
Heute hingegen steht an die Spitze der politischen Prioritätenliste wieder die Forderung nach »mehr Sicherheit«. Das gilt sowohl für die neue Sicherheitsdoktrin der Bush-Administration als auch für das »Solana-Papier«, das auf dem EU-Gipfel vom Dezember 2003 verabschiedet wurde.
Das in den USA nach dem 11. September 2001 geschaffene Heimatschutzministerium (Department of Homeland Security) hat Zugriff auf beträchtliche Budgetmittel unabhängig vom Verteidigungsetat, mit denen die Forschungsprojekte großer Rüstungskonzerne finanziert werden können.
Die Hälfte der globalen Militärausgaben wird von den USA getätigt, die auf dem Feld der Militärtechnologie und der Produktion moderner Waffensysteme einen besonders großen Vorsprung haben.
Auf der Ebene der Europäischen Union gilt das Augenmerk der EU-Kommission insbesondere der Koordination und Finanzierung von Programmen, die eine sicherheitspolitische Bedeutung haben.
Das im April 2005 aufgelegte 7. Europäische Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (FP 7) sieht 3,5 Mrd. Euro für die Bereiche Sicherheit und Raumfahrt vor, die als eng verflochten angesehen werden. Diese Summe kommt also noch zu den Mitteln für militärische Forschung und Entwicklung hinzu.
Viel versprechende Märkte tun sich auch bei der Modernisierung der Waffen und Geräte auf, die der Abwehr einer militärischen und zivilen Bedrohung dienen. Auf diese Weise stabilisiert die Sicherheitsagenda, die von den USA und der EU für die »Zeit nach dem Kalten Krieg« entworfen wurde, auch die Strukturen im Bereich Rüstungs- und Sicherheitsindustrie.
Dabei verstärkt sich die »transatlantische Achse« im Bereich der Rüstungsindustrie. Die Produktion von Waffen wird zunehmend zu einer europäisch-amerikanischen Angelegenheit. Denn die gewaltigen Kosten für die Entwicklung neuer Generationen von Waffensystemen liegen so hoch, dass sie zu verstärkter Zusammenarbeit zwingen. Die Aktionäre der Rüstungskonzerne können sich freuen.
Im Lauf der 1990er-Jahre haben auch institutionelle Anleger wie Rentenfonds und Versicherungen ihr Kapital zunehmend in der US-amerikanische Rüstungsbranche angelegt.
Der Druck, den dieses Bündnis von Finanz- und Rüstungssektor ausüben konnte, war einer der Faktoren, der zur Aufstockung des US-Militärhaushalts nach 1999 beigetragen hat, und erst recht nach 2000, nach dem Zusammenbruch des Nasdaq (des Aktienindex der Hightech-Unternehmen), dem Kursverfall an der Wall Street und den Attentaten vom 11. September 2001.
Von dieser Entwicklung profitieren vor allem die Anleger: Die Kursentwicklung der US-Rüstungsunternehmen beschert ihnen seit einigen Jahren bemerkenswerte Gewinne.
Seit Beginn dieses Jahrzehnts haben sich US-amerikanische Konzerne in den meisten großen europäischen Ländern – mit Ausnahme Frankreichs – in Rüstungsunternehmen eingekauft. Und auch die großen europäischen Unternehmensgruppen wie die European Aeronautic Defence and Space Co. (EADS), die vormals britische BAE Systems, die vorwiegend französische Thales Group, die italienische Finmeccanica und andere mussten auf den Zwang reagieren, ihren Aktionären einen »Wertzuwachs« zu präsentieren. Die logische Folge ist, dass sie ihre Präsenz auf dem US-amerikanischen Markt verstärken müssen.
Die Umsätze der fünf größten Exportnationen machten 2004 volle 81 Prozent der globalen Rüstungsverkäufe aus. Dabei lag Russland als Exporteur an der Spitze, gefolgt von den Vereinigten Staaten und zwölf europäischen Ländern, deren akkumulierte Exporte wertmäßig fast an die der USA heranreichen. Der wichtigste Abnehmer von Rüstungsgütern (im Zeitraum 2000 bis 2004) war China, das seine Importe zu 95 Prozent aus Russland bezieht.
Die westlichen Lieferanten sind jedoch zu großen Zugeständnissen bereit, um sich Zugang zu diesem wichtigen Zukunftsmarkt zu verschaffen. Der Rückgang der Waffenexporte in den letzten zehn Jahren erklärt sich durch das Ende des Kalten Krieges und die finanziellen Probleme der wichtigsten Kunden, also der Schwellenländer und der Staaten des Südens.
Das hat zu einer verstärkten Konkurrenz unter den Anbietern geführt. Sie spielen auch bei den Differenzen eine Rolle, die es zwischen der USA und der EU, aber auch innerhalb der Union hinsichtlich des 1989 verhängten Waffenembargos gegen China gibt.
Dabei geht es in Wirklichkeit gar nicht um die Menschenrechte, sondern um die Rolle, die die europäische Rüstungsindustrie bei der Erschließung eines Marktes mit großen Wachstumschancen spielen kann. Und auf der geopolitischen Ebene geht es um die Frage, wie der Militärmacht China zu begegnen ist. Die USA jedenfalls sind dabei, Taiwan massiv aufzurüsten: 2005 wurden Taipeh von Washington Rüstungsgüter im Wert von 18 Mrd. Dollar zugesagt.
Claude Serfati ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Saint-Quentin-en-Yvelines und Autor u.a. von „Impérialisme et militarisme, actualité du XXIe siècle“, Lausanne (Page deux) 2004.
Stockholmer Friedensforschungsinstitut
Observatoire des transferts d'armements
Informationsstelle Militarisierung
Materialien zu Rüstungsindustrie von der AG Friedensforschung der Uni Kassel
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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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