Fast alle Szenarien der Energieexperten münden in globalen Hochrechnungen, bei denen die regenerativen Energien sehr gut wegkommen. Im Jahr 2020 könnten sie mit bis zu 3.300 Mtoe (Million Tons of Oil Equivalent, Millionen Tonnen Öleinheiten) mehr Energie liefern, als gegenwärtig durch die Verbrennung von Erdöl gewonnen wird, prognostiziert das in Wien ansässige Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA).
Freilich ist der Einsatz regenerativer Energien, den die dortigen Systemanalytiker für die Entwicklungsländer vorsehen – 760 Mtoe im Jahr 2020 –, dreimal so hoch wie der für die Länder des Nordens (175 Mtoe, knapp 20 Prozent dessen, was hier möglich wäre).
Das Missverhältnis ist um so krasser, als der Umstieg auf regenerative Energien im Norden wesentlich leichter zu bewerkstelligen wäre als im Süden. Denn im Norden braucht man lediglich die bisher eingesetzte fossile Energie zu ersetzen. Außerdem kann man auf einen vorhandenen Bedarf bei zahlenden Kunden aufbauen. Im Süden hingegen setzt die Einführung regenerativer Energien eine zusätzliche Nachfrage von solventen Abnehmern vor aus.
Das Beispiel der Sonnenenergie oder auch Photovoltaik spricht Bände. Neuerdings werden so genannte netzunabhängige photovoltaische Inselanlagen gern als Wundermittel gegen den unhaltbaren Zustand angepriesen, dass zwei Milliarden Menschen ohne Strom auskommen müssen. Doch innerhalb von zwanzig Jahren hat die Photovoltaik trotz aller Subventionen gerade einmal 500.000 Menschen in den Entwicklungsländern elektrisches Licht und Radioempfang beschert.
Die übrigen 1,9 Milliarden haben nach wie vor keinen Strom. Selbst wenn es mit der Photovoltaik hundertmal so schnell voranginge wie bisher, würde es mindestens 400 Jahre dauern, um auch ihnen zu helfen. Der Strom aus photovoltaischen Inselanlagen ist drei- bis fünfmal so teuer wie sein Konkurrent aus dem Dieselgenerator. Damit kann die Photovoltaik auf absehbare Zeit nicht konkurrenzfähig werden. Es sei denn, der Ölpreis klettert auf 150 oder 200 Dollar pro Barrel – womit allerdings in den Ländern des Südens jegliche Hoffnung auf Entwicklung zunichte gemacht würde.
Einen Markt für photovoltaische Inselanlagen gibt es nur bei hoher Subventionierung. Auch der Handel mit Emissionszertifikaten für reduzierten Treibhausgasausstoß könnte bestenfalls 20 Prozent der fünfmal so teuren Investition finanzieren.
Es ist also nicht seriös, wenn der Eindruck erweckt wird, photovoltaische Inselanlagen könnten die Völker aus der Unterentwicklung herausführen. Schon heute ist es möglich, die erforderliche Energie mit konventionellen, billigeren Methoden direkt vor Ort bereitzustellen.
Aber Unternehmer und Regierungen der industrialisierten Länder haben natürlich ein Interesse daran, ihre Forschung auf dem Gebiet der Sonnenenergie von der Entwicklungshilfe finanzieren zu lassen, zumal sie sich dabei auf den Zuspruch der Öffentlichkeit verlassen können.
Es wird der Anschein erweckt, als wären die Länder des Nordens wegen der Treibhausgase besorgt und würden deshalb die Umstellung auf regenerative Energien vorantreiben wollen – außer bei sich selbst, obwohl es da die größten Märkte gibt und auch die finanziellen, technischen und industriellen Voraussetzungen gegeben sind.
Um das Potenzial der regenerativen Energien nutzen und einen möglichst großen Anteil des Weltenergiebedarfs durch sie decken zu können, müssten mehrere Dinge gewährleistet sein:
Sparsamkeit im Umgang mit Energie müsste zu einer allgemeinen und ernsthaften Priorität erhoben werden. Denn wenn der Energieverbrauch weiter unkontrolliert ansteigt, wird keine Energieerzeugung, ob regenerativ oder nicht, wirkungsvoll und schnell genug die Veränderung herbeiführen, die uns die Klimakatastrophe erspart.
Die reichen Länder müssten sich endlich dazu durchringen, das bei ihnen bestehende erhebliche Potenzial der regenerativen Energiegewinnung zu nutzen und das Erdöl zu einem erschwinglichen Preis den Entwicklungsländern zu überlassen, statt ihnen immer wieder Projekte aufzudrängen, die keine Rücksicht auf ihre kurzfristigen Bedürfnisse nehmen. Einige Länder, wie etwa Deutschland, setzen in ihren Energieversorgungskonzepten bereits auf Windkraft und Photovoltaik, während sich andere Länder, namentlich Frankreich, nach Kräften dagegen sperren.
Die Länder des Südens, die über größere Ressourcen an Biomasse, Wasserkraft und Solarthermie verfügen, brauchen die Unterstützung des Nordens, um eigene Forschungs-, Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten aufzubauen und um Projekte auf die Beine zu stellen, die eine optimale Nutzung dieser Ressourcen versprechen und den Menschen direkt zugute kommen.
Benjamin Dessous ist Präsident von Global Chance; Autor (zusammen mit Hélène Gassin) von “So Watt? L’énergie, une affaire de citoyens”, Paris /L’Aube) 2004.
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie
Bundesverband Erneuerbare Energie
Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien
Interdisziplinäres Forschungszentrum zu Umwelt, Wirtschaft und Technologie
Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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