Wird Adipositas zur globalen Epidemie?

Fast jeder dritte Mensch auf der Erde ist zu dick

Adipositas hat epidemische Ausmaße erreicht: Weltweit sind nach Angaben des Institute for Health Metrics and Evaluation aus Seattle (IHME) 2,2 Milliarden Menschen entweder übergewichtig oder sogar fettleibig. Das Forschungsergebnis, das 2017 im Fachblatt New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, bedeutet, dass inzwischen fast jeder dritte Mensch auf der Erde zu dick ist.

Entwicklung ist keine schleichende

Diese Entwicklung ist keine schleichende, sondern eine rasante und globale: Allein zwischen 1980 und 2015 – für diesen Zeitraum hat eine international zusammengesetzte Wissenschaftlergruppe aus Seattle die Daten des Körpergewichts der Bewohner von 195 Ländern der Erde ausgewertet – hat sich der Prozentsatz fettleibiger Menschen in mehr als 70 Ländern verdoppelt. In den meisten anderen Staaten ging er im selben Zeitraum zumindest stetig nach oben, mit weitreichenden Folgen für die Gesundheit: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jedes Jahr mindestens 2,8 Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht und Fettsucht. Aus gutem Grund hat die WHO Adipositas bereits 1997 als globale Epidemie eingestuft – und Fettleibigkeit damit zu einer Seuche erklärt, die es zu bekämpfen gilt.

Starkes Übergewicht ist nicht nur ein Risikofaktor für chronische Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthrose oder Krebs, es verursacht auch immense Kosten. Für die Behandlung adipositasassoziierter Krankheiten können schnell mehr als 100.000 Dollar pro Person anfallen.

Unfinanzierbares Problem

Selbst für die reichsten Länder der Welt könnten sich, so die Warnung von Gesundheitsexperten und Politikern, solche Ausgaben angesichts steigender Patientenzahlen auf mittlere Sicht als unfinanzierbar erweisen.

In Mexiko zum Beispiel leiden laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) inzwischen knapp 16 Prozent aller Erwachsenen (und damit mehr als doppelt so viele wie im OECD-Durchschnitt) unter Diabetes. Allein für die Behandlung der Diabetes und kostspielige Komplikationen müssen dort jährlich rund 4,8 Milliarden US-Dollar (bei einem Gesundheitsetat von etwa 76,5 Milliarden US-Dollar) bereit gehalten werden.

Hinzu kommt: Die Vorurteile gegenüber Übergewichtigen, und dies gilt vor allem für Kinder, führen zu Stigmatisierung – und damit nicht nur zu einer gesundheitlichen, sondern auch zu einer gesellschaftlichen Benachteiligung besonders schutzbedürftiger Menschen. Allein für Europa liegen Studien vor, wonach adipöse Kinder deutlich öfter gehänselt werden als ihre nichtadipösen Altersgenossen. Die WHO warnt in diesem Zusammenhang vor Depressionen, Schamgefühlen, gestörtem Selbstbewusstsein und sogar Suizid als Folge von starkem Übergewicht.

Body Mass Index

Übergewicht wird üblicherweise über den sogenannten Body Mass Index, kurz BMI, ermittelt. Dabei wird das Gewicht einer Person (in Kilogramm) durch das Quadrat ihrer Körpergröße (in Metern) dividiert. Ab einem BMI von 25 sprechen Mediziner von Übergewicht; übersteigt der BMI die 30, werden die Betroffenen als fettleibig, also adipös, eingestuft. Legt man diese international gängige Berechnung zugrunde, dann sind von den insgesamt 2,2 Milliarden Menschen, die weltweit zu dick sind, 712 Millionen Menschen fettleibig; darunter 108 Millionen Kinder und 604 Millionen Erwachsene.0

Unter den 20 einwohnerstärksten Ländern der Welt weist Ägypten die höchste Rate fettleibiger Erwachsener auf: 35 Prozent der Frauen und Männer in dem nordafrikanischen Land sind adipös. Das hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Zum einen sind Kalorienbomben wie Frittiertes und Fast Food am Nil oftmals billiger als gesündere Nahrung wie Obst, Joghurt oder Gemüse. Insofern ist in Ägypten, wo bald ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, ausgerechnet Leibesfülle ein Indikator für Mangel und Entbehrung. Doch auch wohlhabende Ägypter sind oft zu dick: Viele von ihnen bewegen sich kaum noch; die Lieferindustrie erfreut sich größter Beliebtheit, wohingegen der Besuch von Fitnessstudios oder Sportvereinen vielen nicht als trendy gilt.

Bei der Rate fettleibiger Kinder und junger Erwachsener halten unter den 20 bevölkerungsreichsten Ländern die USA den Rekord – mit einem Anteil von 13 Prozent. Stark zuckerhaltige Softdrinks zum Frühstück, Mittag- und Abendessen, Fehlernährung und Bewegungsmangel sind die Hauptfeinde US-amerikanischer Kids. Besonders selten ist extremes Übergewicht dagegen in Bangladesch, wo lediglich 1,2 Prozent der unter 20-Jährigen fettleibig sind, und in Vietnam, wo 1,6 Prozent der Erwachsenen adipös sind.

Für Deutschland erhob zuletzt das Robert-Koch-Institut zwischen 2008 und 2011 repräsentative Daten. Danach haben in Deutschland zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen Übergewicht. Ein Viertel der Erwachsenen ist adipös, Tendenz steigend. Bei den Kindern und Jugendlichen waren rund 16 Prozent übergewichtig und 6,3 Prozent adipös, das sind 50 Prozent mehr als in den 1980er und 1990er Jahren.

Folgen starken Übergewichts

Lange Zeit galten die Folgen starken Übergewichts, darunter nichtübertragbare chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzinfarkt und Schlaganfall, als typische Begleiterscheinungen der Wohlstandsgesellschaft – und somit, Stichwort ungesunder Lebensstil, in erster Linie als massives Gesundheitsproblem der westlichen Industrienationen. Doch diese Vorstellung ist überholt. Laut WHO betreffen nichtübertragbare Krankheiten inzwischen überwiegend arme Nationen; fast 80 Prozent entfallen auf die sogenannten Entwicklungsländer. Weltweit gibt es schon seit Jahren mehr übergewichtige als untergewichtige Menschen.

Insbesondere die moderne Lebensweise – gepaart mit wenig körperlicher Bewegung sowie dem damit einhergehenden, geringen Energieverbrauch einerseits und einer ausgesprochen ungesunden Ernährung mit kalorienreichen, industriell verarbeiteten, stark fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln andererseits – begünstigt Übergewicht. Da ausgerechnet die ungesündesten Lebensmittel mit hohen Anteilen an Zucker, Fetten, Stärke sowie künstlichen Farb- und Geschmacksstoffen zugleich oft die billigsten beziehungsweise die leicht konsumierbaren sind, sind sie für viele Menschen mit niedrigem Einkommen die naheliegende Wahl. Da diese Produkte außerdem – inzwischen auch in ärmeren Län dern – immer leichter verfügbar sind und überall mit hohem Werbeaufwand und irreführenden Qualitätsversprechen angepriesen werden, nehmen auch die chronischen Krankheiten weltweit zu.

Es ist ein Teufelskreis. Als Faustformel gilt nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Wer mit 40 Jahren adipös ist, hat eine um 5 bis 8 Jahre reduzierte Lebenserwartung. Und: Von einmal angelegtem Übergewicht dauerhaft wieder wegzukommen, gilt als extrem schwierig, weil der menschliche Körper – evolutionsbedingt – immer wieder sein früheres Höchstgewicht ansteuert.

Besteuerung

WHO, Verbraucherschützer, Ernährungswissenschaftler, Gesundheitsökonomen und Ärzte appellieren seit Jahren an Staat und Gesellschaft, gegenzusteuern. Sie fordern unter anderem die Besteuerung zucker- und kalorienreicher Getränke und Lebensmittel Prozent übergewichtig und 6,3 Prozent adipös, das sind 50 Prozent mehr als in den 1980er und 1990er Jahren.

Lange Zeit galten die Folgen starken Übergewichts, darunter nichtübertragbare chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzinfarkt und Schlaganfall, als typische Begleiterscheinungen der Wohlstandsgesellschaft – und somit, Stichwort ungesunder Lebensstil, in erster Linie als massives Gesundheitsproblem der westlichen Industrienationen. Doch diese Vorstellung ist überholt. Laut WHO betreffen nichtübertragbare Krankheiten inzwischen überwiegend arme Nationen; fast 80 Prozent entfallen auf die sogenannten Entwicklungsländer. Weltweit gibt es schon seit Jahren mehr übergewichtige als untergewichtige Menschen.

Insbesondere die moderne Lebensweise – gepaart mit wenig körperlicher Bewegung sowie dem damit einhergehenden, geringen Energieverbrauch einerseits und einer ausgesprochen ungesunden Ernährung mit kalorienreichen, industriell verarbeiteten, stark fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln andererseits – begünstigt Übergewicht. Da ausgerechnet die ungesündesten Lebensmittel mit hohen Anteilen an Zucker, Fetten, Stärke sowie künstlichen Farb- und Geschmacksstoffen zugleich oft die billigsten beziehungsweise die leicht konsumierbaren sind, sind sie für viele Menschen mit niedrigem Einkommen die naheliegende Wahl. Da diese Produkte außerdem – inzwischen auch in ärmeren Län dern – immer leichter verfügbar sind und überall mit hohem Werbeaufwand und irreführenden Qualitätsversprechen angepriesen werden, nehmen auch die chronischen Krankheiten weltweit zu.

Es ist ein Teufelskreis. Als Faustformel gilt nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Wer mit 40 Jahren adipös ist, hat eine um 5 bis 8 Jahre reduzierte Lebenserwartung. Und: Von einmal angelegtem Übergewicht dauerhaft wieder wegzukommen, gilt als extrem schwierig, weil der menschliche Körper – evolutionsbedingt – immer wieder sein früheres Höchstgewicht ansteuert.

WHO, Verbraucherschützer, Ernährungswissenschaftler, Gesundheitsökonomen und Ärzte appellieren seit Jahren an Staat und Gesellschaft, gegenzusteuern. Sie fordern unter anderem die Besteuerung zucker- und kalorienreicher Getränke und Lebensmittel, höhere Gesundheitsstandards für Schulkantinen, eine genauere Kennzeichnung von Lebensmittelinhalten und Nährstoffen sowie ein Ende des aggressiven Marketings für ungesunde Lebensmittel.

In Mexiko, Ungarn und mehreren US-Bundesstaaten gibt es seit einigen Jahren Abgaben auf zuckerhaltige Softdrinks. In Chile gilt seit 2016 das weltweit strengste Lebensmittelkennzeichnungsgesetz: Produkte mit zu viel Zucker, gesättigten Fetten, Kalorien oder Salz müssen auf der Vorderseite deutlich gekennzeichnet sein. Zuletzt führte Großbritannien im April 2018 eine Steuer für Getränke ein, die mehr als 5 Gramm Zucker pro 100 Milliliter enthalten; Fruchtsäfte und Milchgetränke wurden von der Regelung allerdings ausgenommen. Langfristige Erfolge dieser Maßnahmen sind bisher noch nicht nachweisbar. Die WHO jedenfalls beklagt regelmäßig, dass es noch keinem Land der Welt gelungen sei, den Trend zu Übergewicht und Adipositas umzukehren.

Autor: Heike Haarhoff ist Gesundheitsredakteurin der taz.

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