Mit »nie da gewesener Entschlossenheit, der Armut ein Ende zu bereiten«, trafen sich die politischen Führer der Welt im September 2000 auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen. Sie vereinbarten acht Millenniumsziele für die Entwicklung:
• Die Zahl der Menschen, die hungern oder von weniger als einem Dollar pro Tag leben, soll bis zum Jahr 2015 halbiert werden.
• Die Sterblichkeitsrate bei Müttern soll bis 2015 um drei Viertel fallen.
• Die Ausbreitung von HIV/Aids, Malaria und anderen ansteckenden Krankheiten soll gestoppt oder eingedämmt werden.
• Alle Kinder sollen bis 2015 eine Grundschulbildung erhalten.
• Die Benachteiligung von Mädchen bei der Schulbildung soll bis 2005 und in allen anderen Bildungsbereichen bis 2015 beseitigt sein.
• Die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren soll bis 2015 um zwei Drittel fallen.
• Die ökologische Nachhaltigkeit soll gesichert werden.
• Eine globale Partnerschaft für Entwicklung soll aufgebaut werden.
Die Zwischenbilanz ist enttäuschend. Nach dem Bericht des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) für 2004 sind »große Fortschritte in einigen, doch beträchtliche Rückschritte in anderen Ländern« zu verzeichnen. Mit Blick auf die Millenniumsziele entwickelt sich Asien positiv, doch global gesehen »können nur zwei der genannten Ziele – Halbierung des Anteils der Bevölkerung in großer Armut und ohne Zugang zu Trinkwasser – erreicht werden, wenn der Fortschritt das Tempo der letzten zehn Jahre hält […].
Dabei sind die erzielten Verbesserungen weitgehend auf die schnelle Entwicklung Chinas und Indiens zurückzuführen.« Wirtschaftlich geht es übrigens in diesen beiden Ländern bergauf, ohne dass sie es mit den Empfehlungen von IWF und Weltbank sonderlich genau nehmen.
Andernorts, insbesondere in Afrika, ist der Kampf bereits verloren: »Bei Beibehaltung des aktuellen Tempos kann Subsahara-Afrika das Ziel einer universellen Beschulung im Bereich der Primarbildung erst 2129 erreichen. Die Senkung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel wird erst 2106, also in einhundert Jahren, statt in den angestrebten elf Jahren festzustellen sein.
Bei drei weiteren Zielen – Hunger, Armut und Trinkwasserversorgung – lässt sich nicht einmal ein Datum festlegen, denn die Lage in der Region verbessert sich nicht nur nicht, sondern sie verschlechtert sich.« Daher seien »unabhängig vom regionalen Durchschnitt tragische Rückschritte in zahlreichen Ländern zu beobachten. In nicht wenigen begann sich die Lage bereits in den 1990er-Jahren zu verschlechtern. In 46 Staaten sind die Menschen heute ärmer als damals. In 25 Staaten leiden mehr Menschen Hunger als vor zehn Jahren.«
Überraschender noch ist die Tatsache, dass die Millenniumsziele den betroffenen Ländern keine Wahl lassen, welche Maßnahmen sie zu ergreifen haben: Vorgeschrieben sind »Bemühungen um die Einführung eines offenen, multilateralen, verlässlich geregelten und nicht diskriminierenden Handels- und Finanzsystems«.
Verlangt wird auch die Versorgung mit Medikamenten durch »Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie«. Die Millenniumsziele sind damit Teil der neoliberalen Versuche, die Ökonomien für die transnationalen Unternehmen und das internationale Kapital zu öffnen. Dadurch soll eigentlich ein anderes Ziel erreicht werden, nämlich die Legitimierung der in Verruf stehenden herrschenden Wirtschaftslogik.
Damit verliert nicht nur das behauptete Ziel – die allgemeine Befriedigung der Grundbedürfnisse – an Bedeutung, sondern die Millenniumsziele zwingen den Ländern ökonomische Maßnahmen auf, die bereits überall dort, wo sie gewissenhaft als Mittel zur Armutsbekämpfung umgesetzt wurden, gescheitert sind. Es geht also nur um Kosmetik oder um die Bekämpfung von Symptomen, die ein Wirtschaftssystem erzeugt hat, das strukturell Armut schafft.
Sich auf die Forderung der Millenniumsziele zu beschränken heißt, die Grundlagen dieses ungerechten Systems zu akzeptieren und zu stärken. Neben ihrem spektakulären Scheitern ist bei den Millenniumszielen also die Vorspiegelung falscher Tatsachen zu konstatieren:
Sie können, was von Anfang an klar war, gar nicht erreicht werden, denn sie stellen die heutigen ökonomischen Rahmenbedingungen, die sie erst nötig gemacht haben, in keiner Weise in Frage.
Damien Millet ist Vorsitzender von CADTM France (Komitee für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt) und Autor von „L'Afrique sans dette“, Paris (CADTM-Syllepse) 2005.
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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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