Freihandel in der Krise

Bei der WTO-Tagung in Cancún 2003 durchkreuzten die Entwicklungsländer gemeinsam die Pläne von USA und EU, den Agrarhandel nach deren Vorstellungen zu liberalisieren. 2004 geriet die Koalition gegen die Reichen wieder in die Defensive. Die WTO-Konferenz in Hongkong ging 2005 mit einem Unentschieden zu Ende. Und 2006 soll das neue Handels abkommen vereinbart werden – oder eben nicht.

Drei Gruppen gegen Lieralisierung

Bei der WTO-Ministertagung in der mexikanischen Küstenstadt Cancún im September 2003, die die Liberalisierung des Agrarhandels vorantreiben sollte, bildeten die Entwicklungsländer drei Gruppen. Zusammen waren sie stark genug, um zu verhindern, dass ein gemeinsamer Entwurf von USA und EU als offizielle Erklärung dieser Konferenz verabschiedet wurde – ein enormer Erfolg. Diese drei Gruppen überschneiden sich teilweise.

Eine Welt der Interessengegensätze
Photo: © Le Monde diplomatique

Gemeinsames Vorgehen der drei »Gs«

In der G 20 haben sich vor allem die Nettoexporteure von Nahrungsmitteln zusammengeschlossen. Ein Teil von ihnen ist zu Konzessionen gegenüber Importen aus den Industrieländern bereit, aber zehn ihrer Mitgliedstaaten gehören außerdem der G 33 an, die für intensiven Schutz ihrer Binnenmärkte eintritt. Die in der G 90 organisierten ärmsten Entwicklungsländer teilen dieses Interesse.

Gemeinsam gelang es den drei »Gs« in der WTO, die Macht des Quartetts – außer den USA und der EU noch Japan und Kanada – zu brechen und die Konferenz von Cancún zum Scheitern zu bringen. Gescheitert ist dank ihrer Initiative letztlich auch die Ministerkonferenz von Hongkong im Dezember 2005. Gleiches ist zum Abschluss der Doha-Runde Ende 2006 zu erwarten.

Gemeinsame Forderungen

Vertreten wird die G 20 durch Brasilien, unterstützt unter anderem von China, Indien, Pakistan, Nigeria und Südafrika. 60 Prozent der Weltbevölkerung, 70 Prozent aller Bauern und 26 Prozent des Handels mit Agrarprodukten entfallen auf diese Gruppe. Sie ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach einer weitergehenden Liberalisierung der Landwirtschaft – auch in den übrigen Entwicklungsländern – und dem Interesse ihrer Mitglieder in der G 33, die Arbeitsplätze im Agrarsektor nicht zu gefährden.

Gemeinsam fordern die drei »Gs« die maximale Liberalisierung des Handelsregimes der Industrieländer: die Abschaffung der Exportsubventionen, den drastischen Abbau der Zölle und direkter sowie verschleierter staatlicher Beihilfen. Die Entwicklungsländer wollen sich nichtlänger über den Tisch ziehen lassen, insbesondere nicht durch Versuche, unerlaubte in erlaubte Beihilfen zu verwandeln, im Konferenzjargon: Beihilfen von der »orange Box« in die »grüne Box« zu verschieben.

Orange Box – unerlaubte Beihilfen

In die orange Box kommen Subventionen, die vermieden und abgebaut werden sollen. Dazu gehören die an Erzeugermengen und -preise des laufenden Jahre »gekoppelten« Beihilfen, die laut WTO-Agrarabkommen Handelsverzerrungen hervorrufen. Dabei handelt es sich sowohl um die »Stützung von Marktpreisen« als auch um mengen- und preisabhängige Beihilfen. Beispiele sind staatliche Aufkäufe von Getreide und Milcherzeugnissen zu Garantiepreisen oder staatlich subventionierte Agrarkredite.

Grüne Box – erlaubte Beihilfen

Die grüne Box nimmt die erlaubten Hilfen auf, für die keine Obergrenze festgelegt ist. Dazu gehören Subventionen, die sich auf das Preis- und Mengenniveau im laufenden Jahr nicht oder nur geringfügig auswirken. Hierunter fallen staatliche Forschungs- und Fortbildungsprogramme ebenso wie Förderungen für den Umweltschutz und Zuschüsse im Fall von Naturkatastrophen – viel Spielraum für abwandelbare Bezeichnungen und Definitionen.

Erfolg der »Gs« nur von kurzer Dauer

Das Scheitern von Cancún und Hongkong lässt sich durch das Prinzip des »globalen Pakets« der WTO-Runden erklären – Kompromisse können auch themenübergreifend verabredet werden. Angesichts des Anspruchs, den die Entwicklungsländer auf ihre einzige Handelswährung – die Landwirtschaft – erhoben, wollten die EU und die USA sichergehen, dass sich die Agrarländer im Gegenzug den industriellen Produkten und Dienstleistungen der reichen Länder öffnen. Doch die geforderten verbindlichen Zusagen blieben aus, die drei »Gs« bewiesen Verhandlungsstärke – wenigstens in der Ablehnung.

Der Erfolg der Entwicklungsländer in Cancún war jedoch nicht von Dauer. Schon 2004 standen sie mit dem vom WTO-Rat verabschiedeten Rahmenabkommen wieder auf der Verliererseite. Zwar feierten die Medien das Abkommen als ausgewogene Regelung, faktisch billigt das Abkommen jedoch den Ausbau »gekoppelter« Beihilfen in der »orange Box«.

Übertragung der Subventionen von »orange Box« in »grüne Box«

So boten EU und USA im Oktober 2005 eine Reduzierung der Subventionen um 70 bzw. 60 Prozent an, ohne dass damit ihre Beihilfen von 2008 bis 2013 sinken würden. Zudem konnten durch die gleichzeitigen Reformen der EU-Agrarpolitik 2003/2004 die meisten verbotenen Subventionen der »orange Box« in die »grüne Box« der zulässigen Beihilfen übertragen werden. Gleiches geschah in den USA mit der Reform der Farm Bill schon im Jahr 2002.

Entstehung von Megaunternehmen

Anders als viele Nichtregierungsorganisationen bestreiten weder die G 20 noch die G 33 oder die G 90 die grundsätzliche Legitimität der WTO. Die Risiken wären bei bilateralen Verträgen, die in überwältigendem Maß von den Industriestaaten bestimmt würden, viel größer. Doch sie glauben fälschlicherweise, dass die Abschaffung der Subventionen des Nordens und eine weitgehende Öffnung seiner Märkte ein Gleichgewicht herstellen können.

Diese Maßnahmen bedeuten aber keineswegs das Ende der Dumpingpolitik des Nordens, jedenfalls nicht der USA. Wenn die meisten Familienbetriebe untergehen, entstehen einflussreiche Megaunternehmen wie in Brasilien und Argentinien, die zu extrem niedrigen Preisen produzieren und exportieren.

Einschränkung der Ausnahmeregelungen

Die G 20 – allen voran Brasilien – nimmt die Erosion der Weltmarktpreise in Kauf. Dagegen haben die Länder der G 90 und der G 33 keine Chance, von einer stärkeren Öffnung der Märkte des Nordens zu profitieren. Die G 20 will auch die Möglichkeiten der Entwicklungsländer, sich durch Ausnahmeregelungen für »besondere Produkte« und durch einen »besonderen Rettungsmechanismus« besser zu schützen, einschränken.

Kein Wunder: 51 Prozent der Nahrungsmittelexporte Brasiliens gingen 2004 in andere Entwicklungsländer, und dieser Prozentsatz wird weiter steigen. Die G 20 könnte allerdings die Ausnahmeregeln akzeptieren, wenn der Westen auf sein Dumping bei den Exporten verzichten würde – weil er dann große Marktanteile freigäbe.

Die Subventionen nehmen wieder zu
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G 20, G 33, G 90: Wer ist wer in der Doha-Runde?

Nach dem offiziellen Fahrplan der Welthandelsorganisation WTO mit ihren 49 Mitgliedern soll die Welthandelsrunde, die 2001 im katarischen Doha begonnen hat, bis Ende 2006 abgeschlossen sein. Das Thema Landwirtschaft besitzt darin eine Schlüsselfunktion. Drei Gruppen haben sich gebildet:

G 20.Die Gruppe der 20 besteht aus 19 Entwicklungsländern, davon 9 Nettoexporteuren von landwirtschaftlich erzeugten Lebensmitteln. 10 von ihnen sind zugleich Mitglied in der G 33. Geleitet von Brasilien, unterstützt von China, Indien und Südafrika, hat sich die G 20 an die Spitze der Entwicklungsländer gestellt. Die G 33 und die G 90 machen ihr die Führungsrolle jedoch streitig. Diese G 20 sollte nicht mit gleichnamigen Gruppe verwechselt werden, zu der sich 1999 die Industrienationen der G 7 mit einigen weiteren Ländern und internationalen Finanzinstitutionen zusammengeschlossen haben.

G 33.Die G 33 besteht aus 42 Entwicklungsländern, von denen 10 auch Mitglieder der G 20 und 28 der G 90 sind. Die G 33 setzt sich für das Recht der Entwicklungsländer ein, einige Formen von Protektion bei Importen anzuwenden.

G 90. Der G 90 gehören die 79 AKP-Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik an, die einen Assoziierungsvertrag mit der EU geschlossen haben. Weitere G 90-Mitglieder sind die 49 LLDCs (Least Developed Countries, die am wenigsten entwickelten Länder) und die Mitgliedsländer der Afrikanischen Union; die drei Gruppen überschneiden sich. Die G 90 teilt die Ziele der G 33 nach Beibehaltung von Schutzzöllen. Sie befürchtet aber, dass die drastische Senkung der Zölle, die die G 20 den Industriestaaten auferlegen möchte, die Importvorteile mindert, die die G-90-Staaten derzeit genießen.

Autor: Jacques Berthelot

Jacques Berthelot ist Wirtschaftswissenschaftler und Autor von „L'Agriculture, talon d'Achille de la mondialisation“, Paris (L'Harmattan) 2001.

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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.

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