Das Volk, der Souverän

Die Demokratisierung des politischen Lebens hat im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts deutliche Fortschritte gemacht. Doch ist in Osteuropa und in den Entwicklungsländern die Demokratie noch nicht gefestigt. Gleichzeitig steckt die parlamentarische Demokratie in den westlichen Staaten in einer tiefen Krise.

Verbreitung der Bürgerrechte

Seit 1975 haben die Bürgerrechte und politischen Rechte weltweit große Verbreitung erfahren. In zahlreichen Ländern entstanden demokratische Regierungsformen, die es den Bürgern ermöglichen, Volksvertreter zu wählen, die für unterschiedliche Programme und politische Einstellungen stehen.

Zugleich lockerte sich die Zensur der Medien und es kam zur Gründung neuer Parteien, Gewerkschaften und Vereinigungen auf der Ebene der Zivilgesellschaft.

Einführung von Demokratien

Dank geopolitischer Veränderungen und auf Grund des Umschlags der öffentlichen Meinung und der Arbeit politischer und gewerkschaftlicher Organisationen wurden viele alte Diktaturen durch Demokratien abgelöst – zunächst in Europa (Spanien, Portugal und Griechenland) und dann auch in Lateinamerika (Chile, Brasilien, Argentinien usw.) und in einigen autoritär regierten Ländern Asiens (Südkorea, Taiwan, Indonesien).

Das südafrikanische Apartheid-Regime kam ebenso zu Fall wie die Sowjetunion und die so genannten Volksdemokratien in Zentral- und Osteuropa. Zwischen 1974 und 2005 vollzogen insgesamt 81 Länder den Übergang von einer autoritären Regierungsform zum demokratischen Mehrparteiensystem mit freien und geheimen Wahlen.

Anzahl der parlamentarischen Demokratien weltweit
Photo: © Le Monde diplomatique

Übergang zur Demokratie mit Rückschlägen

Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass der Übergang zur Demokratie nicht ohne Rückschläge abging. 45 Staaten haben nach wie vor kein demokratisches System, und in einigen Ländern (insbesondere in Subsahara-Afrika) kam es in jüngster Zeit zu einem Rückfall in Gewalt und diktatorische Herrschaftsformen.

Das liegt vor allem am Versagen von Eliten, die ihre Länder für die eigenen kurzfristigen Interessen ausnutzen.

Trotz Demokratie Diskreminierung und Ausgrenzung

Die Demokratisierung wirft aber auch komplexe politische Fragen auf: Was ist eine Nation? Wie sollen Staaten künftig verfasst sein? Problematisch ist auch, dass die Wahlentscheidung der Bürger oft durch Spenden und Medienmanipulationen beeinflusst wird. Auch fragt sich, ob man überhaupt von allgemeinen Bürgerrechten sprechen kann, wenn nicht alle Einwohner ihre elementaren Rechte wahrnehmen können.

Selbst in Ländern, die als Demokratien gelten, werden noch immer große Teile der Bevölkerung diskriminiert und dauerhaft ausgegrenzt. Das gilt für die niederen Kasten in Indien oder die indigene Bevölkerung in Lateinamerika, aber auch für die westeuropäischen Länder, in denen noch kein Ausländerwahlrecht durchgesetzt ist.

Zunehmende politische Abstinenz

Dass auch in den Industriestaaten die Demokratie durch Armut, Arbeitslosigkeit und Rassismus beeinträchtigt ist, zeigt unter anderem die zunehmende politische Abstinenz in den Vereinigten Staaten und in Westeuropa, wo nach wie vor ganze Bevölkerungsgruppen de facto von Machtpositionen ausgeschlossen sind.

Allgemeine Freiheitsrechte weltweit
Photo: © Le Monde diplomatique

Haltung der westlichen Staaten

Die Schwierigkeit der derzeitigen Lage resultiert nicht zuletzt aus der Haltung der westlichen Staaten, die zwar die Vergabe von Wirtschaftshilfen und Krediten vielfach an die Einhaltung bestimmter allgemein gehaltener Prinzipien knüpfen (politischer Pluralismus und demokratische Wahlen), bei ihren Verbündeten jedoch großzügig über die Nichteinhaltung eben dieser Prinzipien hinwegsehen.

Besonders schmerzlich ist eine solche opportunistische Relativierung demokratischer Prinzipien für die oppositionellen Kräfte in autoritär regierten Ländern, deren Eliten trotz Menschenrechtsverletzungen, Repression und Korruption von den großen internationalen Organisationen wie IWF und Weltbank unterstützt werden.

Fehlende Souveränität der Völker

Eine paradoxe Entwicklung ist auch, dass sich die parlamentarische Demokratie weltweit immer mehr durchsetzt, während zugleich die Souveränität der Völker so wenig zählt wie nie zuvor. Für manche bekennende Demokraten ist die Demokratie nur wünschenswert, wenn sie die sozioökonomischen Interessen der Elite nicht antastet.

Das erklärt auch, warum Bewegungen für eine andere politische, ökonomische und soziale Ordnung, die sich mit einer verstümmelten Demokratie nicht abfinden, so häufig bedroht und unterdrückt werden.

Autor: Laurent Carroué

Laurent Carrouéist Geograph, Professor an der Universität Paris-VIII und Autor von »Géographie de la mondialisation«, Paris (Armand Colin) 2002.

Mehr Informationen zu dem Thema:

Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Zentrum für Demokratie

Interparlamentarische Union

Internationaler Gerichtshof
Internationale Föderation für Menschenrechte

Amnesty International

Human Rights Watch

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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.

© 2006

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