Arbeitsmärkte: offizielle Zahlen und verborgene Fakten

Jedes Jahr steigt die Zahl der fehlenden Arbeitsplätze weltweit um 2 bis 3 Millionen. In den Industrieländern werden Menschen zu Billigarbeit und in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gezwungen. Und in der Dritten Welt geht die Anzahl der Sklaven- und Kinderarbeiter in die hunderte Millionen.

Schlechte Lage auf dem globalen Arbeitsmarkt

Die Lage auf dem globalen Arbeitsmarkt ist schlecht, und sie wird immer prekärer. An den offiziellen Zahlen lässt sich der ganze Umfang des Problems nicht ablesen. So taucht etwa Hausarbeit, meist Frauenarbeit, in den Statistiken nicht auf. Auch die informelle Beschäftigung ist schwer quantifizierbar. Sicher ist aber, dass die Zahl der Erwerbstätigen in der Welt stetig zunimmt und heute bei über 3 Milliarden Menschen liegt.

Vier Phänomene kennzeichnen die Entwicklung der vergangenen Jahre:

Erstens: Die Zahl der Arbeitslosen bleibt hoch.

Das Internationale Arbeitsamt in Genf zählte Ende 2005 trotz des kräftigen Wirtschaftswachstums von 4,3 Prozent 191,8 Millionen offiziell Arbeitslose, 2,2 Millionen mehr als 2004 und 34,4 Millionen mehr als 1995. In den Industrieländern sank die Arbeitslosenquote zwar von 7,1 Prozent auf 6,7 Prozent, dafür stieg sie aber in Lateinamerika und der Karibik von 7,4 Prozent auf 7,7 Prozent.

Da bei weitem nicht alle Arbeitssuchenden erfasst werden, ist davon auszugehen, dass sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industrienationen die reale Zahl weit höher liegt. Vor allem die reicheren Länder bereinigen ihre Arbeitslosenstatistiken. In Frankreich erhält nicht einmal jeder zweite Erwerbslose Arbeitslosenunterstützung, und nicht alle lassen sich beim Arbeitsamt registrieren. In Großbritannien werden Arbeitslose zum Teil als »nicht« oder »eingeschränkt erwerbsfähig« klassifiziert. Die offizielle Zahl der »Behinderten« hat sich innerhalb von zehn Jahren vervierfacht. In Deutschland verzerren Ein-Euro-Jobs und so genannte Ich-AGs das Bild. Ähnliches gilt für die USA, die Niederlande, Dänemark, China und Indien.

Der informelle Sektor
Photo: © Le Monde diplomatique

Zweitens: Zunehmend verbreitet ist das Konzept der workfare, also die scheinbare Eingliederung in den Arbeitsmarkt durch erzwungene Arbeit.

Die so genannte Politik der Aktivierung wurde in den 1990er-Jahren in den USA erfunden. Sie verpflichtet Arbeitslose, unabhängig von Ausbildung und Wartezeit jedes Jobangebot anzunehmen. In den Industrieländern dominieren Praktika – manchmal im Rahmen einer Ausbildung, oft jedoch schlicht als unbezahlte Arbeit –, geringfügige Beschäftigung und gelegentliche reguläre Arbeit, die aber immer unterbezahlt und manchmal staatlich subventioniert ist.

Das schönt die offiziellen Arbeitslosenstatistiken, treibt zugleich aber die Zahl schlecht verdienender Arbeitnehmer nach oben. 2004 lebten zwischen 6 und 8 Prozent der Erwerbstätigen in der Europäischen Union und mehr als 10 Prozent in den USA in Armut. Die Lage in den Entwicklungsländern ist noch dramatischer: Hier verdienen etwa 550 Millionen Menschen weniger als einen USDollar pro Tag.

Arbeitszeit und Mindestlohn
Photo: © Le Monde diplomatique

Drittens: Prekäre Beschäftigung und Teilzeitarbeit nehmen zu.

In den Industrieländern gibt es immer mehr »flexible« Arbeitskräfte, die ohne jede soziale Absicherung eingestellt werden und jederzeit kündbar sind. Teilzeitbeschäftigung und Zeitarbeit boomen; unter diese Kategorie fällt inzwischen jeder sechste Job in den OECD-Staaten. Damit passen Unternehmen ihre Belegschaften an die Konjunktur an und ersparen sich Lohnzahlungen in auftragsschwachen Zeiten. Die Leidtragenden sind die Beschäftigten, in drei Viertel aller Fälle die Frauen, die eigentlich gern mehr arbeiten würden.

Tödliche Arbeit
Photo: © Le Monde diplomatique

Viertens: Selbst in den reichen Ländern gibt es immer mehr Sklavenarbeit, d. h. Arbeit unter Drohung und unmittelbarem Zwang (weltweit 12,3 Millionen Fälle).

Die Ausbeuter sind laut Internationalem Arbeitsamt (IAA) in acht von zehn Fällen private Unternehmen; in Lateinamerika große landwirtschaftliche Betriebe und in einigen Ländern Asiens Agenturen, die »Arbeit als Schuldendienst« vermitteln.

20 Prozent der Sklavenarbeit entfallen auf Staaten wie Birma und Nordkorea, die Menschen zu Zwangsarbeit nötigen, und auf militärische Gruppen etwa in Afrika. Ebenso groß ist die Zahl der Opfer von Menschenhandel bzw. Sexhandel.

Regional ist die moderne Sklaverei am stärksten in der Asien/Pazifik-Region verbreitet, doch sie kommt auch, trotz gesetzlicher Verbote, in Europa und den USA vor. Die Opfer von Sklavenarbeit sind oft Kinder.

Wenn man die leichteren Formen der Haus- und Feldarbeit unberücksichtigt lässt, werden 218 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen zur Arbeit gezwungen, etwa in Fabriken, Bergwerken, auf Plantagen und in der Sex industrie, so der Bericht der In ter nationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Jahr 2006. Damit ist die Zahl innerhalb von fünf Jahren weltweit nur um 11 Prozent gesunken. An Sonntagsreden gegen diesen Zustand besteht kein Mangel – die Realität sieht anders aus.

Autorin: Martine Bulard

Martine Bulard ist stellvertretende Chefredakteurin von „Le Monde diplomatique“, Paris.

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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.

© 2006

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