Lesen und schreiben zu können blieb lange Privileg Einzelner bzw. bestimmter sozialer Gruppen, für deren gesellschaftliches Fortkommen es von entscheidender Bedeutung war. In den letzten Jahrzehnten gab es jedoch deutliche Fortschritte im Bereich der Schulbildung: Von 1970 bis 2004 stieg weltweit die Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen von 48 auf 82 Prozent. Entscheidend dafür war das Ansteigen der Einschulungsquote.
Das Bevölkerungswachstum hat jedoch dafür gesorgt, dass heute die Zahl der Analphabeten weltweit höher liegt als je zuvor: Von 1950 bis 2000 ist sie von 705 Millionen auf 875 Millionen gestiegen. Bis 2005 fiel sie dann auf 771 Millionen, von denen 64 Prozent Frauen waren – in vielen Ländern ist Mädchen der Schulbesuch immer noch verwehrt. 98,4 Prozent der Analphabeten der Welt leben in den Ländern des Südens, allein zwei Drittel aller Analphabeten entfallen auf die neun bevölkerungsreichsten Entwicklungsländer.
Deutliche Unterschiede in der Alphabetisierung zeigen sich nicht nur zwischen Stadt und Land, Regionen oder Bezirken, sondern auch zwischen verschiedenen ethnischen und sprachlichen Gruppen sowie zwischen den sozialen Schichten.
So ist etwa in Marokko die Analphabetenrate auf dem Land doppelt so hoch wie in den Städten. In manchen reichen Ländern wiederum ist eine Zunahme des Analphabetismus bei sozialen Randgruppen zu verzeichnen: Jeder fünfte Erwachsene in den USA, Großbritannien und Irland kann nicht lesen und schreiben.
Angesichts der sozialen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen, vor denen die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht, wird für Schule und Ausbildung viel zu wenig getan: nicht mehr als etwa 5 Prozent des Weltsozialprodukts gehen in diesen Bereich.
Regierungen wie Unternehmen betrachten Schule und Ausbildung noch häufig als Kostenfaktor statt als notwendige und sinnvolle Investition. Bei der allgemeinen Sparpolitik kommen die reichsten Länder noch am besten weg – der »brain drain«, die Abwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte, geht vom Süden und Osten nach Norden bzw. Westen und in die USA, während in Subsahara-Afrika sowie in Süd- und Südostasien die Bildungssysteme zusammenbrechen und die Einschulungsquote massiv zurückgeht.
Die UN-Kulturorganisation Unesco versteht den Zugang zu Bildung und Ausbildung als ein Menschenrecht. Diesen Anspruch einzulösen, gehört zu den schwierigsten Zukunftsaufgaben der Nord-Süd-Kooperation. Das im April 2000 auf dem Weltbildungsforum in Dakar verabredete Ziel – »Bildung für alle« und Halbierung der Analphabetenquote bis 2015 – ist gescheitert.
Dies liegt vor allem daran, dass die nötigen Mittel fehlen: zwischen 15 und 35 Millionen Lehrer und 5,6 Milliarden Dollar jährlich wären an internationaler Hilfe erforderlich – das entspricht 0,7 Prozent der weltweiten Militärausgaben. Bislang bestehen noch drastische Ungleichheiten. 84 Prozent der Ausgaben für Bildung entfallen auf die Länder der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die nur 18 Prozent der Weltbevölkerung stellen, pro Kopf aber 25-mal so viel Geld für Bildung ausgeben wie die Länder des Südens (im Vergleich zu zu den Ländern Südasien sogar 70-mal so viel). Weltweit können 137 Millionen junger Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren nicht lesen und schreiben.
Überdies ist die Erzeugung, Steuerung und Weiterverbreitung von Fachkompetenz durch Bildung und Ausbildung längst zu einem entscheidenden wirtschaftlichen und geopolitischen Faktor im internationalen Wettbewerb geworden. Eine Hand voll Nachrichtenageturen, vorwiegend aus anglophonen Ländern, erzeugt und verbreitet rund 80 Prozent der weltweit verfügbaren Information. 90 Prozent der Rechte an Erfindungen und Technologien liegen bei multinationalen Konzernen.
Wissen und Fachkenntnisse sind heute begehrte Produkte auf einem umkämpften Weltmarkt. Die Diskussionen in der Welthandelsorganisation über »handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums« (Trips) sprechen Bände. Im Bereich der Zusammenarbeit auf den Gebieten Wissen, Fachkenntnis und Bildung ist eine neue Weltordnung einstweilen nicht in Sicht.
Laurent Carroué ist Geograph, Professor an der Universität Paris-VIII und Autor von »Géographie de la mondialisation«, Paris (Armand Colin) 2002.
Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.
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