Die Vereinten Nationen und die Vereinigten Staaten

1909 gab es 37 große internationale Organisationen und Vereinigungen auf der Welt, knapp hundert Jahre später sind es 350. Die Vereinten Nationen waren ursprünglich als Dachorganisation über diesem Netzwerk von Institutionen gedacht. Doch nach dem Scheitern des New Yorker Reformgipfels im September 2005 ist die UNO noch immer auf der Suche nach einer neuen Legitimation. Ein großes Hindernis für das Bemühen der UNO, sich zu erneuern und ihre internationale Rolle aufzuwerten, ist dabei der hegemoniale Anspruch der Vereinigten Staaten.

»Organisierter gemeinsamer Frieden«

Am Ende des Ersten Weltkriegs erklärte der damalige US-Präsident Woodrow Wilson die Idee eines »organisierten gemeinsamen Friedens« zum zentralen Ziel des neu zu gründenden Völkerbunds. Eine ähnliche Idee inspirierte die Gründung der Vereinten Nationen, die 1942 von US-Präsident Franklin D. Roosevelt angeregt wurde.

Kritik an der Weltorganisation UNO

Die UNO, die 1945 in San Francisco beschlossen wurde und ihren Sitz in New York fand, war zugleich eine Art Resonanzboden für die Spannungen des Kalten Krieges, aber auch eine Tribüne für die antikolonialen Bewegungen in aller Welt.

Die Weltorganisation wurde immer wieder kritisiert; sei es, weil viele Resolutionen, die sie verabschiedete, nie umgesetzt wurden (insbesondere im Nahostkonflikt), sei es, weil sie unfähig war, den Zerfall Somalias, den Völkermord in Ruanda oder die Massaker in Bosnien zu verhindern.

UNO - »Bollwerk gegen das Chaos in den internationalen Beziehungen«

Doch als dann das alte »Gleichgewicht des Schreckens« durch eine Entwicklung abgelöst wurde, die eine ganze Serie explosiver innerer Konflikte hervorbrachte, hatte die UNO den Ehrgeiz, zum »Bollwerk gegen das Chaos in den internationalen Beziehungen« zu werden, wie es UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar 1990 ausdrückte.

Wo die UNO und ihre Unterorganisationen ihren Sitz haben
Photo: © Le Monde diplomatique

Kritik der USA an der UNO

Die UNO sieht sich freilich mit der Arroganz der USA konfrontiert, die das Schicksal der dominierenden Nation für wichtiger hält als die Geschicke des gesamten Planeten. Zur Jahrtausendwende ermahnte die US-Führung den damaligen UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, er solle künftig »mehr Sekretär und weniger General« sein.

Und auch seinem Nachfolger Kofi Annan ließen sie eine bedeutsame Botschaft zukommen: Weil der UN-Sicherheitsrat den Angriff auf den Irak nicht legitimiert hatte, bezeichnete Richard Perle, ein Chefideologe der US-Sicherheitspolitik, die UNO, nach dem Fluss, an dem ihr Gebäude in New York liegt, als »Schwatzbude am Hudson« und frohlockte, dass nunmehr »die Fantasievorstellung von der UNO als der Grundlage einer neuen Weltordnung« am Ende sei.

Im März 2005 ernannte George W. Bush einen bewährten »Falken« des Irakkriegs, John Bolton, zum UN-Botschafter der USA, also einen ausgewiesenen Verfechter des Unilateralismus.

Keine Vergrößerung des UN-Sicherheitsrat

Nachdem der UN-Sicherheitsrat lange Zeit durch die Ost-West-Rivalität blockiert war, bringt er nur noch in Ausnahmefällen sein Vetorecht zur Geltung, das jedem einzelnen der privilegierten fünf Ständigen Mitglieder (China, USA, Frankreich, Großbritannien und Russland) zusteht. Der Sicherheitsrat tagt mittlerweile fast ununterbrochen und verabschiedet pro Jahr etwa 50 Resolutionen. Zwischen 1990 und 2001 verhängte er in 26 Fällen Sanktionen.

Beim UN-Gipfel vom September 2005 war als zentrales Thema die Vergrößerung des Sicherheitsrats vorgesehen, die seit langem von Staaten der Dritten Welt und einigen weltpolitischen »Schwergewichten « (Deutschland, Japan, Indien, Brasilien) gefordert wird. Doch die Ständigen SR-Mitglieder konnten sich erneut nicht auf eine solche Erweiterung einigen. Wenig später wurde auch die Reform der Menschenrechtskommission verschoben, weil einige Länder sich gegen eine »humanitäre Einmischung« wehrten.

Wie die großen Fünf ihr Vetorecht nutzen
Photo: © Le Monde diplomatique

Zunahme an großen Konferenzen

Nachdem die UNO von 51 Mitgliedstaaten im Gründungsjahr 1945 auf heute 191 angewachsen ist, versucht die Weltorganisation einen neuen Anlauf. Sie hat sich – nach einigen Kontroversen – gegenüber dem Privatsektor geöffnet und will mit der »Zivilgesellschaft« kooperieren.

Zudem organisierte sie immer mehr große Konferenzen: zum Thema Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994, zu globalen Umweltfragen in Rio 1992, Berlin 1995 und Kioto 1997, den Weltfrauengipfel in Peking 1995, den Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995, die Weltkonferenz über Rassismus in Durban 2001, den Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg 2002.

Zunehmende Friedensoperation

Die Anzahl der Friedensoperationen hat im Lauf der Zeit erheblich zugenommen: Während es im Zeitraum 1945 bis 1987 noch 13 waren, so wurden im Zeitraum 1989 bis 2000 bereits 42 Blauhelmeinsätze durchgeführt. Im Jahr 2005 hatten die Vereinten Nationen mehr als 70.000 Blauhelme und Polizisten sowie 12.000 Zivilisten im Einsatz, drei Viertel von ihnen in Afrika. Dabei stützen sie sich militärisch immer mehr auf regionale Organisationen.

Mangel an finanzieller und militärischer Ausstattung

Die mangelnde Effizienz der UNO hängt ersichtlich auch mit ihrer schlechten finanziellen und militärischen Ausstattung zusammen: Die Aufwendungen für Friedensmissionen und internationale Tribunale entsprechen nur 1 bis 2 Prozent der weltweiten Militärausgaben.

Doch die Organisation geriet auch durch administrative Unregelmäßigkeiten in Misskredit – etwa bei der Abwicklung des Programms »Öl für Nahrung« im Irak –, was für die Rechte in den USA ein gefundenes Fressen war.

Wer die Vereinten Nationen finanziert
Photo: © Le Monde diplomatique

Kritik und Diskussionen

Die UN waren aber auch dem Vorwurf ausgesetzt, sich zum Schutzschild und Legitimierungsinstrument für das Handeln der Großmächte herzugeben. Überdies wird kritisiert, dass Kofi Annan, dessen zweite Amtszeit im Dezember 2006 endet, Washington zu sehr entgegenkam, als er die amerikanische Definition von Terrorismus absegnete – die einschlägige Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 14. September 2005 ging auf die Ursachen des Terrorismus gar nicht ein.

Eine neue Diskussion gibt es auch über die Struktur und Weiterentwicklung des Völkerrechts. Angesichts der Macht, die den großen Finanz- und Handelsorganisationen im Rahmen der Globalisierung zugewachsen ist, geht es dabei um die Rolle und die Handlungsinstrumente der etwa dreißig UN-Unterorganisationen und -Sonderprogramme (in den Bereichen Gesundheit, Flüchtlinge, Kindheit, Entwicklung u. a. m.).

Was die USA der UNO schulden
Photo: © Le Monde diplomatique

Internationale Strafverfolgungsorgane umstritten

In den letzten zehn Jahren sind außerdem internationale Strafverfolgungsorgane entstanden, die entweder als Ad-hoc-Gericht gegründet wurden, wie der Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien, oder als universelles Berufungsgericht konzipiert sind, so der Internationale Strafgerichtshof (IStGH). Diese neuen Organe sind nicht unumstritten – der IStGH wird von den USA heftig bekämpft –, aber sie lassen auch hoffen, dass sich eine wirksame internationale Rechtsprechung herausbildet.

Autor: Philippe Leymarie

Philippe Leymarie ist Journalist bei Radio France internationale.

Mehr Informationen zu dem Thema:

Offizielle Seite der Vereinten Nationen

Regionales Informationszentrum der UN für Westeuropa

Aktuelles der UNO

UN über UN-Reform

Center for UN Reform Education

Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen

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Quelle:
Atlas der Globalisierung,
Le Monde diplomatique.

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