Afrika ist der einzige Kontinent, bei dem die Indikatoren für die wirtschaftliche Entwicklung wie für die Gesundheits- und Sozialversorgung ständig nach unten zeigen. Die Welt schaut offenbar ohnmächtig zu, wie sich ganze Gesellschaften auflösen, weil sie durch Kriege – um Rohstoffe und um politische Macht – oder durch Konflikte zwischen religiösen Gruppen und konkurrierenden Clans untergraben und ausgehöhlt werden.
Der Schwarze Kontinent ist zwar ein Opfer der Globalisierung, zugleich aber ist er für diese unentbehrlich, weil er über wichtige Rohstoffvorkommen verfügt. Das Prinzip des Freihandels, das den Volkswirtschaften Afrikas im Zuge einer Politik der »Öffnung« aufgezwungen wird, ist im Grunde eine Lizenz für die Ausplünderung der afrikanischen Rohstoffe.
Der Ökonom Samir Amin hat berechnet, dass der Anteil der Exporte an der afrikanischen Wirtschaftsleistung bei 45 Prozent liegt, bei den anderen Kontinenten dagegen nur zwischen 15 und 25 Prozent. Damit ist Afrika lediglich passiv an der globalen Ökonomie beteiligt, wovon die kapitalistischen und insbesondere die westlichen Mächte profitieren.
Die Logik der Ausrichtung ganzer Volkswirtschaften und Gesellschaften auf ausländische Nutznießer – früher die Kolonisatoren, heute die Kapitalanleger – ist im Prinzip dieselbe geblieben, während sich nur ihre Form gewandelt hat.
Das zeigt sich an den Empfehlungen der »Kommission für Afrika«. Diese vom britischen Premierminister Tony Blair geleitete Expertengruppe hat – unter dem Etikett »Armutsbekämpfung« und garniert mit ein paar larmoyanten Floskeln – dem Patienten eine tödliche Medizin verschrieben: die Liberalisierung des Handels und der Wirtschaft.
Dasselbe tut die G 8 mit ihrem Beschluss vom Juli 2005, den Schuldenerlass für 18 der ärmsten Länder an die Bedingung zu knüpfen, dass diese den Prozess der Liberalisierung und Privatisierung beschleunigen. Dieses Angebot richtet sich im Übrigen an weniger als ein Drittel der 62 Staaten, die laut UN für einen Schuldenerlass in Frage kommen, und bleibt damit weit hinter den ohnehin minimalistischen Millenniumszielen zurück, die von den Vereinten Nationen für den Zeitraum bis 2015 definiert wurden.
Eine aktive Rolle spielen in diesem historischen Drama allerdings auch die afrikanischen Eliten, die sich in vielen Ländern die nationalen Ressourcen angeeignet haben. Doch diese Eliten können nur innerhalb eines Rahmens agieren, der von außen vorgegeben ist, und zwar durch eine Reihe von Institutionen, die nur dem Namen nach multilateral sind.
Diese globalen Agenturen des Neoliberalismus verfügen über zwei Zwangsinstrumente: Geld und Recht. Damit können sie nach Belieben diktieren, verwalten und bestrafen, entweder mittels der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und IWF oder mittels Auflagen für Entwicklungsprogramme, WTO-Regeln und anderem mehr.
Somit sind es vor allem die Anteilseigner der öffentlichen und privaten Kapitalfonds, die seit den 1970er-Jahren die afrikanischen Staaten der neoliberalen Globalisierung unterwerfen. Damals hat die so genannte Schuldenkrise, die zum großen Teil auf Entscheidungen der großen Wirtschaftsgroßmächte zurückgeht, den jungen unabhängigen Staaten die Luft abgeschnürt.
Das Scheitern dieser Politik liegt heute offen zutage: 33 der 49 am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries oder LLDC) befinden sich in Subsahara-Afrika. Und die 27 Länder am Ende der LLDC-Tabelle liegen ausnahmslos südlich der Sahara.
Die Ungerechtigkeit der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, die auf dem Primat von Geld und Konkurrenz basiert, wird auf diesem Kontinent besonders deutlich, weil die verheerenden Folgen hier an der Zahl der Toten – und der Überlebenden – abzulesen sind.
Aus afrikanischer Perspektive erscheint das Versprechen einer »segensreichen Globalisierung« jedenfalls als böser und verhängnisvoller Schwindel. Und dennoch regt sich auf diesem Kontinent allenthalben gesellschaftlicher Widerstand und auch Zuversicht.
Vor allem im sozialen Bereich haben sich vielfältige Vereinigungen und Initiativen gegründet. Ein Beispiel sind die Sozialforen, die an vielen Orten Afrikas entstanden sind.
Die viel beschworene Vielfalt unterschiedlicher Kulturen könnte einen konkreten Ausdruck finden, wenn die Großen dieser Welt endlich akzeptieren würden, dass sich wirtschaftlicher und sozialer Aufschwung innerhalb unterschiedlicher Entwicklungsstrategien vollziehen kann.
Im Fall Afrika könnten sich die Gesellschaften auf ihr eigenes kulturelles Vermächtnis besinnen, in dem die Werte der Solidarität und des Teilens eine zentrale Rolle spielen. Soziologen und Ökonomen haben aufgezeigt, dass die informelle Ökonomie dazu beitragen kann, ein solidarisches Wirtschaftssystem zu entwickeln.
Jenseits aller Beschwörungsformeln geht es daher um die Frage, ob Afrika endlich Subjekt seiner eigenen Geschichte wird, statt immer nur das Objekt der Geschichte der anderen zu bleiben.
Anne-Cécile Robert ist Journalistin bei „Le Monde diplomatique“ und Autorin von „L'Afrique au secours de l'Occident“, Paris (L'Atelier) 2004.
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Atlas der Globalisierung,
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