Wenn in Arizona, Nevada oder Texas die große Hitze kommt, erreichen die Temperaturen Werte bis zu 48 Grad Celsius. Selbst nachts kühlt es dann kaum ab – da ist ohne Klimaanlage die Gesundheit in Gefahr: Von Schlafstörungen und chronischen Kopfschmerzen über Bluthochdruck und Atembeschwerden bis hin zu Lungeninsuffizienz und Schlimmerem reichen die Beschwerden. Kein Wunder, dass im Süden der USA 97 Prozent der Haushalte klimatisiert sind. In einigen Bundesstaaten wie Arizona gehören Klimaanlagen sogar zur gesetzlich vorgeschriebenen Grundausstattung von Mietwohnungen.
Auf die künstlich erzeugte Kühle schwört man aber nicht nur in den trockenen und subtropischen Regionen, selbst in Vermont und Montana, wo man eher gegen zu viel Schnee als Hitze kämpft, sind überall Klimaanlagen eingebaut. In Wohnhäusern, Autos, Restaurants, Geschäften, Ämtern, öffentlichen Verkehrs mitteln, Stadien, Fahrstühlen, Schulen, Sporthallen und sogar Kirchen sorgen sie in jedem Winkel der Vereinigten Staaten das ganze Jahr über für eine konstante Temperatur von etwas mehr als 20 Grad. Selbst die US-Soldaten in Afghanistan haben ein klimatisiertes Zelt dabei.
Der ökologische Preis allerdings ist hoch. Die Treibhausgasemissionen, Kühlmittelzusätze und der Energieaufwand belasten die Umwelt. In den USA fließen jährlich 6 Prozent des produzierten Stroms – vor allem aus Kohlekraftwerken – in den Betrieb von Klimaanlagen. 2015 war der Stromverbrauch für die Gebäudekühlung in den Vereinigten Staaten so hoch wie der Gesamtverbrauch des afrikanischen Kontinents. Hinzu kommt der Benzinverbrauch für die Klimaanlagen in Autos, der jährlich bei 26 bis 38 Milliarden Liter liegt. Die Klimatisierung hat die Vereinigten Staaten nachhaltig verändert und beeinflusst, vom Städtebau über Freizeit und Konsum bis hin zu den sexuellen Gewohnheiten. Vor der Klimatisierung ging im April und Mai, also neun Monate nach dem Hochsommer, die Geburtenrate stets deutlich zurück. Seit sich die Innenraumtemperatur regulieren lässt, sind diese saisonalen Schwankungen komplett verschwunden.
Dabei ging es anfangs gar nicht um den individuellen Komfort, sondern erst mal nur um den Schutz von Waren, genauer gesagt um das Papier der New Yorker Druckerei Sackett-Wilhelms Lithographing & Printing Company. In der feuchtwarmen Luft der Brooklyner Fabriketage konnte man kein Papier lagern; schon nach kurzer Zeit ließ es sich nicht mehr bedrucken. Die Firma beauftragte den jungen Ingenieur und Erfinder Willis Carrier (1876–1950), ein Gerät zu entwickeln, das die Feuchtigkeit und Umgebungstemperatur steuern sollte.
Carrier konstruierte eine Maschine, in der die angesaugte Luft durch ein Kältemittel abgekühlt wurde. 1902 kam der Apparat auf den Markt und war sofort ein Verkaufsschlager. Die Hersteller von Textilien, Tabak, Teigwaren, Kaugummi, Mehl und Schokolade stürzten sich geradezu auf Carriers genialen Airconditioner. In weniger als zehn Jahren führten alle Branchen, in denen die Produktionsprozesse von Temperaturschwankungen beeinträchtigt wurden, klimatisierte Fabrikhallen ein. Bis dahin hatte auch die Produktivität der Belegschaft, so die einschlägige Erfahrung der Vorarbeiter, während der Hitzeperioden regelmäßig stark nachgelassen; im Sommer verlangsamte sich nicht nur das Arbeitstempo, manchmal blieben die Arbeiter einfach gleich zu Hause. Manche Unternehmen führten zusätzliche Pausen oder einen früheren Arbeitsbeginn ein. Doch es kam auch vor, dass die Fließbänder abgestellt werden mussten.
Die Zeichen der Zeit standen auf Taylorismus und Rationalisierung. Die Arbeitgeber ließen untersuchen, bei welcher Temperatur in der Fabrikhalle oder im Büro die größte Effizienz zu erwarten war. Und die US-Regierung stellte bei ähnlichen Tests fest, dass die Produktivität in ihren Schreibbüros ohne Klimatisierung im Sommer um 24 Prozent abnahm.
Die Zeiten, als die USA der Hauptabsatzmarkt für innovative Klimatechnik waren, sind vorbei. Während insgesamt der Stromverbrauch für die Klimatisierung durch die Erderwärmung und den Hochhausboom steigt, stagniert in den USA die Nachfrage nach neuen Modellen. Hier repariert man lieber sein altes Gerät. Dafür rückt nun die aufstrebende Mittelschicht in den Schwellenländern nach. In China wurden zwischen 2010 und 2016 mehr als 200 Millionen Klimaanlagen verkauft.
In Indien sind Klimaanlagen zwar bislang relativ wenig verbreitet (2 bis 3 Prozent der Haushalte besitzen eine), weil aber die Metropolen so stark wachsen und in großen Teilen des Landes ein feucht-heißes Klima herrscht, gibt es ein enormes Potenzial. Im Mai 2016 kletterte das Thermometer im westindischen Phalodi auf 51 Grad – ein neuer nationaler Hitzerekord. Seit etwa zehn Jahren steigt der Verkauf von Klimaanlagen in Indien jährlich um 15 bis 20 Prozent. Allein 2013/2014 wurden nach einem Bericht der US-Energiebehörde 3,3 Millionen Klimaanlagen auf dem Subkontinent verkauft. Das Produkt ist inzwischen so begehrt, dass in mancher Autowerbung nicht mehr die PS-Angabe, sondern die Kapazität der Klimaanlage im Zentrum steht. Sommer für Sommer stellt der steigende Stromverbrauch Indiens Infrastruktur auf eine harte Probe. Häufig gibt es Stromausfälle, die sich mitunter zu gigantischen Pannen auswachsen – wie im Juli 2012, als 600 Millionen Menschen zwei Tage lang keinen Strom hatten.
In Südkorea, dem heutigen Weltmarktführer, in Japan und in den Golfstaaten sind Klimaanlagen längst selbstverständlich. In manchen Einkaufszentren am Persischen Golf kann man sogar Ski fahren, während es draußen über 40 Grad heiß ist. In Brasilien, Indonesien, Nigeria, Mexiko und auf den Philippinen steigt der Absatz ebenfalls rasant. Nach Hochrechnungen des Lawrence Berkeley Laboratory könnten bis 2030 etwa 700 Millionen und bis 2050 sogar 1,6 Milliarden Klimaanlagen verkauft werden. Dann wäre der Rest der Welt mit Klimaanlagen so ausgestattet wie die USA.
Nach den Fabrikhallen kamen die Lichtspielhäuser. Im Sommer waren die Kinosäle entweder gähnend leer oder wurden gleich dichtgemacht. Doch kaum hatte die Kinokette Balaban & Katz 1917 in ihren Sälen in Chicago Klimaanlagen einbauen lassen, strömten so viele Zuschauer in die Vorführungen, dass sich die Investitionskosten innerhalb eines Sommers amortisiert hatten. Die Konkurrenz zog alsbald nach. 20 Jahre später waren drei Viertel der 256 Kinosäle in Chicago klimatisiert. Auch vor den Kinos in New York, Houston und Los Angeles standen bald bunte Allwetterschilder mit Eisbären, Eiswürfeln oder Schneeflocken und Slogans wie »Drinnen ist es kühl« oder »Konstant 20 Grad«. Die Sommerflaute war passé, der Sommer-Blockbuster konnte kommen.
Und die Klimaanlage setzte ihren Siegeszug fort. Auf die Kinos folgten Züge, Restaurants, Geschäfte, Hotels. Die großen Ketten gingen stets voran, dann folgten die kleineren, und am Ende hatte selbst der Tante-Emma-Laden um die Ecke eine Klimaanlage, um mit der Konkurrenz Schritt halten zu können. Außerdem galten Klimaanlagen als gesundheitsfördernd. »Rein« und »gesund« sei die klimatisierte Luft, hieß es unisono in den Werbebotschaften und amtlichen Verlautbarungen. In den Zügen verschwinde der Zigarettenrauch »wie von Zauberhand«. Auch schwangere Frauen profitierten davon, versicherte zumindest der Chicagoer Gesundheitsdienst und riet werdenden Müttern im Sommer 1921, die Kinosäle von Balaban & Katz aufzusuchen. Dort erwarte sie »reinere Luft als auf dem Pikes Peak« in den Rocky Mountains.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte dann auch der Durchbruch in den US-amerikanischen Privathaushalten. In den Zwischenkriegsjahren hatten mehrere Unternehmen noch vergeblich versucht, den Verkauf von Klimageräten an Privatkunden anzukurbeln. Zu laut, zu groß und vor allem zu teuer waren die Anlagen, die nicht mehr als eine Handvoll wohlhabender Käufer fanden. Der Wendepunkt kam 1951, als Carrier ein kleineres Klimagerät zu einem erschwinglichen Preis auf den Markt brachte, das sich leicht am Fenster installieren ließ. Die Verkaufskurve schnellte nach oben: 1960 waren bereits 12 Prozent der Privathaushalte klimatisiert, 20 Jahre später 55 und 2005 über 80 Prozent. Heute sind fast 90 Prozent der Privathaushalte in den USA mit einer Klimaanlage ausgestattet.
Indem die Klimatechnik sich landesweit und schichtenübergreifend verbreitete, stieg auch die Nachfrage. Das war besonders im Süden der USA zu spüren, der lange nicht so stark urbanisiert war wie der Norden und zwischen 1910 und 1950 10 Millionen Einwohner verloren hatte – vor allem schwarze Arbeiter, die wegen der Rassengesetze und des Arbeitsplatzmangels in der rationalisierten Landwirtschaft in den Mittleren Westen zogen. Nach der offiziellen Abschaffung der Rassentrennung kehrte sich die Situation in den 1960er Jahren um. Der bis dahin als unerträglich stickig empfundene Süden war auf einmal wieder attraktiv. Man konnte die Sonne genießen, ohne ihr schutzlos ausgeliefert zu sein, und die Firmen freuten sich über das gewerkschaftsfreie und arbeitgeberfreundliche Umfeld.
Zwischen 1950 und 2000 stieg der Bevölkerungsanteil der Sun-Belt-Staaten im Verhältnis zur US-Gesamtbevölkerung von 28 auf 40 Prozent. Ohne Klimatisierung wäre das Wachstum der Bevölkerung Floridas auf über 20 Millionen Einwohner undenkbar gewesen, und ohne Klimatisierung würde es heute weder einen Freizeitpark Disney World in Orlando geben noch die Kasinos von Las Vegas in der Wüste Nevadas. In Phoenix, Arizona, lebten 1930 etwa 50.000 Menschen. Heute hat die Stadt, in deren Randbezirken der unwirtlichen Umgebung täglich mehr Bauland abgetrotzt wird, 1,6 Millionen Einwohner. Die tagsüber von Beton und Asphalt absorbierte Hitze wird nachts abgestrahlt. So kühlt es kaum ab. An rund 30 Tagen im Jahr steigt die Temperatur auf weit über 40 Grad Celsius; in den 1950er Jahren war das nur an sieben Tagen der Fall.
Sicher lässt es sich auch ohne Klimaanlage im Süden der USA leben, und noch vor hundert Jahren hat sich diese Frage gar nicht gestellt. Die Geschäfte waren wie heute noch im Süden Europas während der Mittagszeit geschlossen, die Kinder bekamen hitzefrei, und nach dem Mittagessen freute man sich auf die Siesta. Man stellte die Füße in eine Wanne kalten Wassers oder legte sich ein feuchtes Tuch in den Nacken. Auch die Architektur richtete sich nach der Hitze. Große Türen und Fenster sorgten für Luftzirkulation. Die Decken waren hoch, die Zwischenwände dünn, und ein breiter Dachfirst schützte vor der Sonne. Höher gelegte Holzdielen und schattige Veranden sorgten zusätzlich für Kühlung. Der Deckenventilator verbrauchte nur einen Bruchteil der Energie, den heute eine Klimaanlage verschlingt.
Seit den 1960er Jahren wird im Sun Belt fast genauso stromlinienförmig gebaut wie in Pennsylvania oder Indiana: direkt auf den Boden installierte Fertighäuschen mit schmalen Fenstern, moderne Glaskästen mit zentraler Klimaanlage und Wolkenkratzer, deren Fenster sich nicht öffnen lassen. Wegen der günstigen Grundstückspreise sind die Städte extrem in die Breite gewachsen, weshalb man im Süden noch mehr auf das Auto angewiesen ist als im Norden. Die »Amerikanisierung des Südens« nennt der Historiker Raymond Arseneault diese Nivellierung der regionalen Unterschiede durch die Klimatisierung des Alltags. Aus Sicht der meisten Amerikaner gehören Klimaanlagen einfach immer und überall dazu. Selbst in Alaska sind fast ein Viertel der Hotels klimatisiert. Die Hitzetoleranz ist so stark gesunken, dass sich viele Amerikaner mittlerweile bei Innentemperaturen wohlfühlen, die die meisten Touristen als zu niedrig empfinden.
Die Klimatisierung stößt damals wie heute jedoch nicht nur auf Begeisterung. In den ersten Jahren bekamen Kino- und Ladenbesitzer bitterböse Beschwerdebriefe wegen der Kälte. Und manche Südstaatler verschmähten die Technologie als Import aus dem Norden, wo die Leute zu verweichlicht seien und deshalb keine Hitze aushielten. Selbst Präsident Roosevelt (1882–1945) hasste das von seinem Vorgänger installierte Klimagerät. Heute beklagen Umweltschützer die ökologischen Schäden der Klimatisierung, und Wissenschaftler machen sie für die Fettleibigkeit verantwortlich. Ihr Argument: Die Menschen essen bei niedrigen Temperaturen mehr, bleiben eher zu Hause, wo sie vor allem sitzende Tätigkeiten verrichten, und der Körper muss keine Kalorien verbrennen, um sich aufzuheizen oder abzukühlen. Und Feministinnen verweisen auf den Gendergap: Die Temperaturen in den Büros richteten sich nur nach Männern im Anzug, während Frauen in Sommerkleidern und Sandalen fröstelten.
Die Klimatechnik hatte von Anfang an sehr einflussreiche Unterstützer: die US-Regierung, die ab den 1960er Jahren Privathaushalte mit einer Prämie bei der Anschaffung einer Klimaanlage unterstützte; Kreditanstalten, die von Gewerbetreibenden höhere Zinsen für Kredite verlangten, wenn deren Geschäfte nicht klimatisiert waren; Bauträger, die in ihren Plänen den Einbau von Klimageräten automatisch integrierten; und last but not least Energiegiganten wie General Electric. Die Klimatisierung sorgte aber nicht nur für mehr Produktivität, Komfort und Umweltprobleme. Sie trug auch zur Entseuchung der Südstaaten bei, in denen damals noch tropische Krankheiten wie Gelbfieber oder Malaria grassierten. Und die sommerliche Sterberate ging tatsächlich zurück: Zwischen 1979 und 1992, als viele arme Amerikaner noch keine Klimaanlage hatten, kamen bei Hitzewellen mehr als 5.000 Menschen ums Leben. Im Sommer 1995 gab es allein in Chicago 500 Todesopfer. Mittlerweile sind die Todeszahlen bei extremer Hitze glücklicherweise nicht mehr so hoch. Klimaanlagen sind in Krankenhäusern und Operationssälen genauso unverzichtbar wie für die Herstellung von Medikamenten, die eine kontrollierte Umgebungstemperatur brauchen. Und auch das Internet würde ohne die Kühlanlagen für Rechenzentren nicht funktionieren.
Als nach dem Reaktorunfall in Fukushima die Japaner ihren Stromverbrauch und damit auch die Klimatisierung drastisch reduzieren mussten, rief das auch gleich wieder die Tayloristen auf den Plan: Ein Professor der Tokioter Waseda-Universität ließ messen, wie stark die Produktivität von Büroangestellten bei höherer Raumtemperatur sank. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Verlust 30 Minuten Arbeitszeit pro Tag entsprach.
Nach einer Schätzung der Internationalen Energieagentur von 2016 machte die Raumkühlung weltweit durchschnittlich rund 10 Prozent des gesamten Stromverbrauchs aus. Die höchsten Werte erreichten die USA mit 16 Prozent, der Nahe Osten (15 Prozent), Mexiko (14 Prozent) und Japan (10 Prozent). In den meisten Ländern mit erheblichem saisonalen Kühlbedarf ist der Anteil der Klimaanlagen am Spitzenlaststromverbrauch während des gesamten Jahres deutlich höher als am Gesamtverbrauch. So entfiel im Juni 2008 in Madrid ein Drittel des gesamten Spitzenverbrauchs auf Klimaanlagen.
In Ländern, wo das ganze Jahr über gekühlt werden muss, wie in Singapur oder vielen Ländern des Nahen Ostens, kann der Anteil der Klimaanlagen am Spitzenlastverbrauch bis zu 50 Prozent oder mehr betragen. In Saudi-Arabien macht die Klimatisierung 51 Prozent des gesamten Strombedarfs aus. Im Sommer ist die Nachfrage doppelt so hoch wie in den »Wintermonaten«. Einen großen Einfluss auf den Strombedarf hat die Effizienz der Klimaanlagen: Es wird geschätzt, dass eine Verbesserung um 30 Prozent bis 2030 den Höchstlastverbrauch um die Leistung von mehr als 700 mittelgroßen Kohlekraftwerken reduzieren würde.
Autor:
Benoît Bréville ist Historiker und Journalist.
Naturefund e. V.
Karl-Glässing-Straße 5
65183 Wiesbaden
+49 611 504 581 011
info(at)naturefund.de
Registriert beim Registergericht Wiesbaden, VR 3739
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer: DE 293241718
Freistellungsbescheid: Als gemeinnützige Körperschaft
befreit von der Körperschaftssteuer gem. §5 Abs.1 Nr.9 KStG
unter der Steuernummer 43/250/76281.
Ihre Spende an Naturefund kann steuerlich abgesetzt werden.