Vor gut 40 Jahren grassierte die Furcht vor einer globalen »Bevölkerungsexplosion«. Damals lebten 4,2 Milliarden Menschen auf der Erde. Mittlerweile hat sich zwar die durchschnittliche Zahl der Kinder je Frau halbiert, doch das jährliche Plus lag 2017 immer noch bei 83 Millionen und die Weltbevölkerung hat sich auf 7,6 Milliarden fast verdoppelt. Ginge es in diesem Tempo weiter, würden wir noch vor dem Jahr 2050 die 10-Milliarden-Schwelle erreichen. Das ist allerdings nicht zu erwarten – wenn man die meistzitierte mittlere Variante der aktuellen UN-Projektion zur Entwicklung der Weltbevölkerung zugrunde legt: Sie sieht ein etwas schwächeres Wachstum voraus.
Um die Bevölkerungszahlen von morgen einigermaßen valide zu bestimmen, treffen die Statistiker Annahmen zur künftigen Sterblichkeit, zur Geburtenhäufigkeit und zu den Wanderungen. Auf Basis dieser Daten lässt sich dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen, wie viele Menschen welchen Alters und welchen Geschlechts in welchem Land in Zukunft leben werden. Diese Länderdaten werden schließlich zu regionalen und globalen Vorausberechnungen aggregiert.
Solche Modelle sind für einen Zeithorizont von 10 bis 20 Jahren relativ zuverlässig, weil es sich im Wesentlichen um buchhalterische Fortschreibungen handelt: Der überwiegende Teil der dann lebenden Menschen ist heute schon geboren und lediglich entsprechend gealtert. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand schleichen sich in die Vorausberechnungen aber größere Unsicherheiten ein. Erhebliche regionale Fehler entstehen durch unvorhersehbare Ereignisse wie Kriege und Seuchen oder durch politische Umbrüche wie den Fall des Eisernen Vorhangs.
Der Wert der Vorausschätzungen steht und fällt also mit den Annahmen. Für diese greifen die Wissenschaftler auf Erfahrungen aus der Vergangenheit zurück. So gehen sie davon aus, dass die Kinderzahlen je Frau auch in jenen Ländern sinken werden, wo heute noch große Familien die Regel sind – vor allem in Afrika südlich der Sahara –, dass sie aber dort leicht steigen, wo sie heute bereits unter dem bestandserhaltenden Niveau von 2,1 Kindern je Frau liegen, was in praktisch allen entwickelten Staaten der Fall ist. Nach der mittleren Projektion der UN soll die Kinderzahl je Frau demnach im globalen Mittel von heute 2,5 bis Mitte des Jahrhunderts auf 2,4 und bis 2100 auf 2,0 sinken – realistisch sind diese Werte laut UN allerdings nur, wenn in den ärmsten Ländern der Welt massiv in Familienplanung investiert wird.
Bei der durchschnittlichen Lebenserwartung gehen die Statistiker davon aus, dass sie in beinahe allen Ländern der Welt weiter steigt – von heute 71 Jahren auf 77 Jahre im Jahr 2050 und noch höher danach. Der dritte demografische Parameter, die Migration, ist am schwersten abzuschätzen. Niemand weiß, wie viele Menschen künftig zwischen Ländern, Regionen und Kontinenten hin und her wandern. Es gilt aber als sicher, dass sie sich auch in Zukunft überwiegend von ärmeren in reichere Länder bewegen werden.
Weil die Realität nicht zwingend den getroffenen Annahmen entspricht, sind diese Projektionen »inhärent unsicher«, wie es im UN-Jargon heißt. Auch nur geringfügige Unterschiede in den Annahmen ergeben für Weltbevölkerung des Jahres 2100 Prognosen, die um mehrere Milliarden differieren.
Zu anderen Ergebnissen kommen Vorausschätzungen, die als zusätzlichen Parameter für die Bevölkerungsentwicklung den künftigen Bildungsstand mit aufnehmen. Denn dieser hat gerade in armen Ländern einen erheblichen Einfluss auf die Kinder zahlen. Dort haben Frauen, die nie eine Schule besucht haben, etwa zwei- bis dreimal so viele Kinder wie Frauen mit Sekundarschulbildung.
Da für alle Länder der Welt die Kinderzahlen pro Frau je nach Bildungsstand bekannt sind, lässt sich modellhaft berechnen, wie sich deren Bevölkerungen in Abhängigkeit künftiger Bildungsanstrengungen entwickeln werden. Drei verschiedene Szenarien liefern dabei eine höchst unterschiedliche Entwicklung der Weltbevölkerung: Im Global Enrollment Rate Scenario würden anteilmäßig so viele Kinder zur Schule gehen wie 2010, dem Startpunkt der Berechnungen. Unter diesen Bedingungen würde die Weltbevölkerung bis 2100 einen Wert von fast 13 Milliarden erreichen und auch danach noch weiterwachsen.
Das Global Trend Scenario setzt kontinuierliche Fortschritte im Bildungssektor voraus, ähnlich wie sie die Welt in der jüngeren Vergangenheit erlebt hat. Diese Verbesserungen würden die Weltbevölkerung bis etwa 2070 auf lediglich 9,4 Milliarden anwachsen lassen, danach begänne sie leicht zu schrumpfen.
Die dritte und günstigste Aussicht wäre das Resultat massiver Bildungsanstrengungen nach dem Vorbild der asiatischen Tigerstaaten Südkorea oder Singapur, die einst ähnlich schlechte Startbedingungen hatten wie heute Afrika. In diesem Fast Track Scenario würden die Geburtenziffern in Afrika ähnlich rasch sinken wie zuvor in Asien, die Weltbevölkerung wüchse bis Mitte des Jahrhunderts auf lediglich 8,5 Milliarden an und hätte bis 2100 das heutige Niveau von etwa 7,5 Milliarden wieder unterschritten.
Drei der vier aktuellen Bevölkerungsprognosen der UN unterscheiden sich lediglich in der Fertilitätsrate (hohe, mittlere, niedrige), die Sterblichkeitsrate entwickelt sich so wie bisher, die Nettozuwanderung bleibt bis 2050 konstant und sinkt bis 2100 auf die Hälfte. Flüchtlinge gehen in der Regel nicht in die Schätzung ein, da sie meist innerhalb von fünf bis zehn Jahren in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Beim Szenarium »unverändert« (rot) bleibt die Fertilitäts- wie auch die Sterberate auf dem Niveau von 2010–2015, die Nettozuwanderung entwickelt sich wie bei den anderen Szenarien.
Zur Entwicklung der Weltbevölkerung in den letzten 10 000 Jahren hat die internationale Forschung Daten erstellt, die trotz zum Teil unsicherer Quellenlage und fehlerbehafteter älterer Bevölkerungsstatistiken als fachlich gut gesichert gelten. Wenn man die verschiedenen Schätzungen aggregiert, ist die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr langsam gestiegen: niedrig geschätzt von 170 Millionen Menschen im Jahr 0 auf gut 800 Millionen um 1800.
Projekte von Naturefund unterstützen und der Zerstörung von Lebensraum entgegenwirken!
Autor: Reiner Klingholz ist geschäftsführender Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.
Naturefund e. V.
Karl-Glässing-Straße 5
65183 Wiesbaden
+49 611 504 581 011
info(at)naturefund.de
Registriert beim Registergericht Wiesbaden, VR 3739
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer: DE 293241718
Freistellungsbescheid: Als gemeinnützige Körperschaft
befreit von der Körperschaftssteuer gem. §5 Abs.1 Nr.9 KStG
unter der Steuernummer 43/250/76281.
Ihre Spende an Naturefund kann steuerlich abgesetzt werden.